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Kinder dieser Welt

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.Jonathan Stöbsei“ (Pseudonym eines steirischen Meisters im Erfinden von Aphorismen) schreibt in seinem ,Juehrbuch der Stöbsologie“: „Am Anfang war das Chaos. Dann schuf GOTT Himmel und Erde. Um den alten Zustand wiederherzustellen, erschuf ER den Menschen.“ Ich ergänze Stöbsels Weisheit: „Und ER teilte sie in zwei Klassen.“

Als die Welt nach ihrer Erschaffung in all ihrer Zier wunderschön vor ihrem Schöpfer stand, sprach sie zu ihm: „Herr, was willst Du jetzt mit mir anfangen?“

„Tja“, sprach der liebe Gott und kratzte sich hinter dem Ohr. „Ich will dich von Menschen bevölkern lassen.“

„Von Menschen?“ Die Welt zog ein argwöhnisches Gesicht, wodurch sich die gewaltigen Gesteinsmassive, die sich auf ihr befanden, in Berge und Täler teilten.

„Ich sehe einstweilen nur Tiere auf meinen Gefilden“, setzte sie fort. „Diese Menschen mußt Du also erst erschaffen.“

„Richtig“, sprach der liebe Gott.

„Und wie sollen diese neuen Geschöpfe ausschauen?“ fragte die Welt neugierig. Erwartungsvoll sah sie zu ihrem Schöpfer auf, und durch das Licht, das von ihm ausging, das aber nicht überall hindringen konnte, entstand auf ihr eine warme und eine kalte Zone.

„Tja“, sagte der liebe Gott und kratzte sich nochmals hinter dem Ohr. „Weißt du, ich habe da so eine Vorstellung, ich will sie nach meinem Bild und Gleichnis erschaffen.“

, Jim“, meinte die Welt.,,Ein toller Plan. Hoffentlich geht die Sache nicht schief.“ Sie schüttelte zweifelnd den Kopf, wodurch alles Leben, das sich bereits auf ihr gebildet hatte, durchein anderpurzelte, so daß Wiesen und Wälder, Blumen und Felder, die bisher auf einem Platz beisammen gestanden hatten, sich plötzlich über die ganze Welt verteilten.

„Schief?“ wiederholte der liebe Gott und zupfte an seinem Bart. „Ich hoffe nicht.“

„Herr“, sprach die Welt, „ich hätte eine Bitte. Könntest Du mir vielleicht diese Menschen, die in Deiner Vorstellung schweben, in einem Traumgesicht zeigen, damit ich sehe, welch neue Geschöpfe ich zu tragen bekomme?“

„Gerne“, erwiderte der liebe Gott und zeigte der Erde in einem schier endlosen Traumgesicht all die Menschen, die sie im Laufe der Zeiten bevölkern sollten, von den allerersten bis zu den allerletzten. Die Welt besah sich die vielen, vielen Menschen ganz genau, der Reihe nach, von oben bis unten. An manchen blieb ihr Blick sogar mit Wohlgefallen hängen. Schließlich fragte die Welt ihren Schöpfer: „Für wen hast Du diese Menschen gemacht? Für Dich oder für mich?“

„Teils - Teils“, gab Gott bescheiden zur Antwort.

„O. k.“, sagte die Welt. „Dann hätte ich eine Bitte. Darf ich mir meinen Teil selber aussuchen?“

Der liebe Gott nickte gütig. „Du darfst.“

„Danke“, flötete die Welt und begann sofort mit der Musterung. Sie suchte sich die Schönsten, die Besten, die Gescheitesten, die Tüchtigsten und die Stärksten aus. Die Schwachen überließ sie dem lieben Gott. Die Erde nannte die ihren „Kinder der Welt“, der Herr die seinen „Kinder Gottes“.

Und damit begann die Misere der Welt und die Misere der Religion, denn die Kinder der Welt fielen über die Erde her, beuteten sie aus und brachten sie an den Rand des Ruins:

Na, und mit den Seinen hat der liebe Gott auch immer seine liebe Not.

„Wir heben Gott“, sagt Ed Howe, „aber wir fragen uns oft, wieso liebt er uns?“

Aus: DAS KANN NUR MIR PASSIEREN. Neue Satiren. Von Hugo Wiener. Amalthea Verlag, Wien, München 1987. 235 Seiten, öS 168,—.

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