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Kinderfinger für hungrige Ratten

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Das Entsetzen der westlichen Welt ist - so scheint's - wieder einmal mediengewirkt. Die Eskalation in den Geiseldramen des Nahen Ostens liefert unserer Videogesellschaft schaurige Bilder. Die moralische Entrüstung wächst mit dem MedienspektakeL Und in sicherer Entfernung bekunden Kommentatoren Verständnis für die modernisierte Aug' um Aug'-Formel: „Terror gegen Terror“, die Israel in die Wirklichkeit umsetzt - bei aller grundsätzlichen Ablehnung terroristischer Handlungen, versteht sich.

Vergessen ist für den Augenblick der Trauer um den gehenkten amerikanischen UNO-Offizier die lange Geschichte der Gewalt im Libanon, in Syrien und Israel. Vergessen scheint die mittlerweile schon banal klingende Phrase, daß Gewalt nur wieder Gewalt evoziert. Israel hat sich mit dem militärisch exakt ausgeführten Kidnapping des khc-meinis tischen Scheichs Karim Obeid in ein politisches Dilemma hineinmanövriert. Bewunderungsausrufe für den Wagemut bleiben diesmal im Halse stecken - auch den USA.

Jetzt wurde ein neues Kapitel der Gewaltpolitik in Nahost aufgeschlagen, das nichts Gutes für diese Region verheißt. US-Präsident George Bush fordert nun ein Ende der Geiselnahmen. Mit kräftigen Worten hält er sich zurück.

Im Libanon hängt die Hoffnung auf Frieden und Freiheit ohnehin auf Halbmast. Der islamische Fanatismus, unterstützt durch syrische Bomben, feiert fatale Siege. In den Kellern von Beirut nagen Ratten die Finger yon kleinen Kindern an.

Dieses alltägliche Elend der Liba-nesenmacht kaum Schlagzeilen. Das zu 70 Prozent besetzte Land - nur die christlichen Gebiete sind noch „frei“ - ist Spielball ausländischer Mächte. Seit 14 Jahren. Und das Ausland schert sich kaum um das Schicksal der Libanesen - ob Christen oder Moslems.

Vielen mag angesichts dieser verfahrenen Situation die jetzt in Wien von einem der geistigen Führer der libanesischen Christen, Pater Joseph Mouannes, an die Christen im Westen gerichtete Bitte um mehr Solidarität mit dem Libanon, und sein Appell an die ausländischen Mächte, ihre Finger vom Libanon zu lassen, einfach naiv erscheinen. Seine Vision von einem f öderativ-plurali-stischen Libanon nach dem Vorbild Österreichs, in dem die 17 konfessionell-kulturellen Gemeinschaften des Landes gleichberechtigt zusammenleben können, das Land damit zur Brücke zwischen Orient und Okzident wird, hat momentan kaum Verwirklichungschancen. Aber geht es anders, als auf diese Realutopie hin zu leben?

Mit Gewalt wurde bisher nur ein blühendes Land zerstört. Wer die Spirale der Gewalt weiterdreht, auch mit noch so guten Motiven, löst nichts. Deshalb ist es mehr als zynisch, vom sicheren Schreibtischplatz aus für Gewalt und Gegengewalt Verständnis zu bekunden. Es darf keine differenzierende Absage an Terrormethoden geben. Damit wäre der Libanon endgültig zum Tod verurteilt.

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