6969237-1985_24_07.jpg
Digital In Arbeit

Kirche als Hyde-Park

Werbung
Werbung
Werbung

Gleich mit zwei Mann war die FURCHE vergangene Wo-cheinPolen vertreten:Verlagslei-ter Walter Schaffelhofer auf Einladung der polnischen Bischofskonferenz im Rahmen einer Informationsreise der Katholischen Aktion Österreichs, der außenpolitische Redakteur Burkhard Bischof mit weiteren acht österreichischen Journalisten auf Einladung von Regierungssprecher Minister Jerzy Urban. Im folgenden Bericht ist zusammengefaßt, was die beiden FURCHE-Vertre-ter jeweils von ihren kirchlichen beziehungsweise staatlichen Gesprächspartner zum Verhältnis zwischen Kirche und Staat in Polen erfahren haben:

Warschau, Fronleichnamstag 1985: Hunderttausende Einwohner der polnischen Landeshauptstadt nehmen an einem der zahlreichen Fronleichnamsumzüge teil, die in der ganzen Stadt stattfinden.

In der St. Anna-Kirche hat am Vormittag Primas Kardinal Jozef Glemp vor Zehntausenden Gläubigen gepredigt und an sie appelliert, in bezug auf Fragen der Menschenrechte und der sozialen Gerechtigkeit wachsam zu bleiben. Am Nachmittag haben sich in einem Hof neben der Kirche, in dem ein Blumenkreuz gelegt worden ist, einige Dutzend Menschen in schon etwas reiferem Alter versammelt, überwiegend Frauen.

Solidarnosc-Schriftzüge, das Porträt des ermordeten Priesters Jerzy Popieluszko fallen auf. Die Versammelten stimmen nationale und religiöse Lieder an, erheben die Hände zum Siegeszeichen. Dazwischen klingt ein Spottlied auf die Miliz an („Santa Milicja”), die auffallend stark in Dreiergruppen vor der St.-Anna-Kirche vertreten ist.

Aber auch Parteichef und Ministerpräsident General Wojciech Jaruzelski sowie Vizepremier Miecyslaw Rakowski werden in dem Lied unbekümmert durch den Kakao gezogen. Rakowski, tags darauf von österreichischen Journalisten auf solche Kundgebungen angesprochen, reagiert mit Gelassenheit:

„Leute, die singen wollen, sollen singen. Und irgendwo muß es auch in Polen einen Hyde-Park geben. Wir stören nicht... Es sind ja jeden Tag dieselben Damen, die dort hinkommen. Und wenn die Blumenfrauen ihre Blumen nicht verkaufen können, bringen sie diese eben zum Kreuz. Das ist eine ganz normale Sache, wir betrachten das ganze als Folklore.”

Daß freilich das Legen von Blumenkreuzen und die damit einhergehenden Versammlungen als eine Art des stillen Protests gegen die Regierung den Machthabern offensichtlich doch nicht behagte, und die Behörden deshalb den ganzen Warschauer Siegesplatz aufreißen ließen, um solche Kundgebungen zu verhindern, sagt Rakowski nicht.

Trotzdem mag er recht haben, wenn er die ganze Angelegenheit des Blumenkreuz-Protestes auf ein reales Maß reduziert. Und wohl auch die polnische katholische Kirche, vor allem der Episkopat, dürfte kaum daran interessiert sein, daß solcher Protest, der sich in ihrer unmittelbaren Nähe abspielt, übertrieben interpretiert wird.

Die eine Sache ist: Vielleicht nie zuvor in der Geschichte war die polnische katholische Kirche so stark wie heute. Denn nach dem Schlag vom Dezember 1981 gegen die unabhängige Gewerkschaftsbewegung SolidarnoSc im besonderen und die politische Opposition im allgemeinen, ist die Kirche im Polen General Jaruzelskis zu einem Hort praktisch aller Bedrängten geworden.

Regierungssprecher Minister

Jerzy Urban stellt das so dar: „Wo zwei sich streiten, freut sich der dritte. Erst hat die Regierung eine Niederlage erlitten, dann die Soli-darnosc. Nur die Kirche hat einen Sieg davongetragen.”

Kirchenvertreter wiederum erklären ihre gestärkte Position folgendermaßen: „Von den gesellschaftlich relevanten Institutionen ist die Kirche die einzige Kraft, die nicht dem System zugeordnet werden kann. Dieser Status der Kirche wird von den Machthabern auch anerkannt. Deshalb trägt die Kirche auch die Hauptlast in der Auseinandersetzung in zentralen Fragen, die die Gesellschaft belasten.”

Diese Situation bürdet der Kirche natürlich enorme Lasten und Verantwortlichkeiten auf, wenn Regierungssprecher Urban dies österreichischen Journalisten gegenüber auch abstreitet: „Die Kirche kann heute ihre Meinung sagen, ohne die Verantwortung für die Folgen tragen zu müssen.”

Jedenfalls betrachten die Machthaber aufmerksam, was sich in und um die Kirche so alles an oppositionellen Strömungen bewegt. In der Kirche, so Regierungssprecher Urban und Vizepremier Rakowski unisono, seien es einige hundert extreme Priester (von 22.000 Geistlichen insgesamt), die in „aggressiven und manchmal geradezu lümmelhaften Predigten gegen die Regierung schimpfen und Antisowjetismus verbreiten; da schreiten wir dann natürlich ein”, so Ra-kowski.

Vor allem intellektuelle Oppositionelle versuchten, die Kirche zu verpolitisieren. Dabei sind Ra-kowskis Ansicht nach die klugen Leute im Episkopat gar nicht glücklich darüber, daß sich die intellektuelle Opposition der Kirche bediente. Denn fragt der Vizepremier: „Was bringt das der Kirche für einen Nutzen?”

Polens Kirche jedenfalls steht unter einem Erwartungsdruck der verschiedensten Seiten: Die Opposition möchte von ihr, daß sie ihre Anliegen zu kirchlichen macht; die Bevölkerung hofft, daß die Kirche ihren Beitrag dazu leistet, daß das Land aus dem Zustand der wirtschaftlichen Misere, der Depression und der Lethargie, der das heutige Polen kennzeichnet, herausfindet; die Machthaber wiederum hoffen auf die stabilisierende Funktion der Kirche in der Gesellschaft, damit sie bei ihren Bemühungen zur Uberwindung der Kluft zwischen Regierung und Bevölkerung vorankommen.

In dieser Situation betonen Kirchenvertreter immer wieder eines: daß sich die Kirche nicht in die Fragen der Politik eingemischt habe und auch in Hinkunft nicht einmischen wolle. Sehr wohl aber beträfe das Wirken der Kirche Fragen der Menschenrechte und der Menschenwürde. Und deshalb fühle sie sich auch als Verteidiger menschlicher Grundwerte gegenüber dem System — egal in welchem Bereich, ob in sozialen Fragen oder beispielsweise auf Hochschulebene.

Etlichen Bevölkerungsteilen und intellektuellen, aber auch kirchlichen Kreisen ist dies zuwenig. Sie kreiden Primas Glemp insbesondere an, daß er sich dem Regime nicht brüsk verweigere und den Dialog zwischen Kirche und Staat aufrechterhalte. Noch vor dem Sommer soll es möglicherweise zu einem weiteren Treffen des Primas mit dem General kommen.

Tatsächlich versucht Glemp auch beständig, die Wogen zu glätten und nicht Stürme anzupeitschen, zuletzt am Fronleichnamstag, wo er auch von der „Nächstenliebe über die ideologischen Grenzen hinweg” sprach. Allerdings mahnt der Primas auch immer wieder bei den Machthabern ein, daß sie ihren Beitrag zur Versöhnung der Gesellschaft leisten müßten.

Wie gesagt: Glemps Kurs findet viele Kritiker, dennoch scheint er der einzig realistische in der derzeitigen Situation Polens zu sein.

„Eine Mehrheit der Polen”, unterstützt Minister Urban die erklärte Politik der Kirche, „ist auch dagegen, daß sich die Kirche politisch betätigt.” Er behauptet aber auch, daß es nur 60 und nicht 90 Prozent der Polen seien, die Vertrauen in die Politik der Kirche hätten.

Aber über Daten und Zahlen läßt sich bekanntlich streiten. Ein Beispiel: An der letzten Arbeiterwallfahrt nach Piekary nahmen nach Schätzungen von kirchlicher Seite 300.000 Menschen teü. Staatliche Stellen zählten „nur” 50.000 Teilnehmer. Kommentierte dazu , verschmitzt ein Kirchenvertreter: „Jede Seite hat eben ihre Anhänger gezählt.”

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung