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Kirche als Kindergarten, Sauna oder Supermarkt

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Was passieren kann, wenn über lange Zeit die Zahlen von Geistlichen und aktiven Gläubigen sinken, zeigt Holland: Kirchengebäude (keineswegs nur katholische) werden abgerissen oder umfunktioniert.

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Was passieren kann, wenn über lange Zeit die Zahlen von Geistlichen und aktiven Gläubigen sinken, zeigt Holland: Kirchengebäude (keineswegs nur katholische) werden abgerissen oder umfunktioniert.

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Jeden Samstag hat die Pieterskerk in Leiden Hochbetrieb. Denn dann findet in ihr der wöchentliche Antiquitätenmarkt statt. Auch wenn die Medizinstudenten ihre Prüfungen haben, während der erfolgreichen Raumfahrtausstellung oder - etwas traditioneller - bei den berühmten Aufführungen der Matthäuspassion durch den Nederlands Bachkoor ist das größte und älteste Gotteshaus der Stadt gestopft voll.

Die Pieterskerk ist Gemeindebesitz. Kurz nach ihrer Restaurierung wurde sie von der reformierten Kirche der Stadt Leiden um den symbolischen Preis von einem Gulden übergeben. Ein Schicksal, das keineswegseinmalig ist. Vier Jahrhunderte, nachdem rabiate Calvinisten die Kirchen ihres römischen Schmuckes beraubten, wütet ein neuer Bildersturm in den Niederlanden. Während zahllose alte Kirchen zu Mehrzweckräumen umfunktioniert werden, wartet auf andere, weniger wertvolle, der Abbruch.

Hauptgrund für diese Entwicklung ist die rasche Säkularisierung der Holländer in den letzten 30 Jahren. Laut eigener Angabe betrachteten 44,5 Prozent der Bevölkerung sich schon 1983 nichteinerGlaubensgemeinschaft zugehörig, 198648,6 Prozent. Rein rechnerisch dürfte also inzwischen die magische 50-Prozent-Grenze überschritten sein, wie es 1986 bereits bei den Männern der Fall war. Da seit 1989 das Standesamt die Religion nicht mehr berücksichtigt, gehören die beschönigenden Zahlen, die man heute noch in Enzyklopädien antrifft, endgültig der Vergangenheit an. Am stärksten sind die Konfessionslosen in den Großstädten vertreten: in Amsterdam 80 und in Rotterdam 70 Prozent. Nur in den Städten des überwiegend katholischen Südens bilden sie noch eine Minderheit, in der römisch-katholischen Hochburg Maastricht stellen sie nur 30 Prozent.

Dagegen ist gerade unter Katholiken die Zahl der Praktizierenden gering. Nur 27 Prozent gehen regelmäßig in die Messe. Und vor allem katholische Gotteshäuser stehen jetzt auf der Abbruchliste. Während die übergroße Mehrzahl der historischen Kirchen reformiert sind, stammen die katholischen Kirchen zu einem großen Teil aus dem 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, als die holländische Bevölkerung „explodierte" und der Katholizismus eine Art Wiedergeburt erlebte. Zu jung also, um unter den Denkmalschutz zu fallen.

Beispielhaft ist die Lage in Rotterdam. 1965 verschwand die 30jährige Nieuwe Kerk, die durch Straßen- und U-Bahnbau unerreichbar geworden war, 1968 die neugotische Lauren-tiuskerk, „die Kathedrale an der Westzeedijk". 1971 mußte die Kon-inginnekerk, die sich auch als Konzertsaal großer Beliebtheit erfreute, nach gerichtlicher Verfügung einem Altersheim weichen. In den restlichen siebziger Jahren wurden weitere 18 Kirchen abgerissen.

Zur Zeit dürfte Amsterdam an der Reihe sein, wo von 45 katholischen Kirchen ein beträchtlicher Teil verschwinden wird. Der Amsterdamer Dekan Suidgeest umgibt die Sache mit äußerster Geheimhaltung: „Es hat den Plan gegeben, 17 Kirchen zu schließen, aber momentan ist noch alles unsicher. Ich habe nicht das geringste Bedürfnis, der Presse Rede und Antwort zu stehen." Auch der wirtschaftliche Direktor der Diözese hat sich der neuen Verschwiegenheit der holländischen Hierarchie angepaßt: „Darüber können wir nicht mit jedem Hinz und Kunz sprechen. Rufen Sie in einigen Monaten wieder an und schicken Sie uns vorher Ihre Fragen."

Für Pfarrer Back von der Willibror-duskerk steht jedoch fest, daß die Zahl der Kirchen reduziert werden muß. „Man kann für fünfzig Leute nicht zwei Kirchen mit je 500 Plätzen offenhalten. Und drei Pfarrer, die sieben Kirchen bedienen müssen, das ist auch eine unhaltbare Sache." Zwischen 1970 und 1985 sank die Zahl der wöchentlichen Kirchgänger in der Hauptstadt von 45.000 auf 12.000 und die der Priester von 112 auf 41.

Die Kunsthistorikerin van Hellenburg-Hubart bedauert, wie wenig die Bevölkerung bis jetzt auf den rasanten Rückgang vor allem neugotischer Kirchen reagiert hat. „Würdigung der Architektur des 19. Jahrhunderts ist eine Emanzipationssache. Viele Leute, vor allem in katholischen Kreisen, haben emotionell etwas gegen diese Gebäude, weil sie sie an das .reiche' römisch-katholische Leben der dreißiger und vierziger Jahre erinnern."

In Amsterdam sind insbesondere die Schöpfungen Piet Cuypers, der auch das Reichsmuseum und die Börse gebaut hat, von den Abbruchplänen betroffen. Die Posthoornkerk in typischem Cuyperstil ist jedoch umgebaut worden und beherbergt einige Computerfirmen, einen Expositionsraum und ein Theater, wo jüngst Rolf Hochhuths „Stellvertreter" aufgeführt wurde. „Der Papst ist der Joker im katholischen Kartenspiel", sagt die Ankündigung: „Seine Funktion ist per definitionem falsch, weil Macht korrumpiert." Die umfunktionierten Kirchen sind ein Phänomen, das sich keineswegs auf die Großstädte beschränkt. In der Grote Kerk in Hoorn gibt es ein Modehaus, die lutherische Kirche ist eine Diskothek und in der Buurtkerk in Utrecht hat das niederländische Museum für Drehorgeln und Spieluhren eine neue Unterkunft gefunden.

Zutreffend ist der Name des Restaurants ,,'t Ponkje" - der Klingelbeutel - in Woudsend, das in der ehemaligen Mennonistenkirche untergebracht ist und wo das Menü auf der Gesangstafel prangt. „Ab und zu sieht man, daß sich vor allem ältere Besucher fragen, ob man denn in einem geweihten Hausessen soll, aber gegangen ist deswegen noch keiner", erzählt der Eigentümer.

Manchmal kommt sogar die Kirche selbst mit Vorschlägen, wie etwa bei einer Kirche in Eindhoven, die heute einen Kinderspielplatz beherbergt. Eine 25-Zentimeter-Sandschicht schützt den Boden gegen die Schaukeln, Wippen und Drehmühlen. Der Altar ist mit einem Nylon-Teppich bedeckt und die Kreuzwegstationen auf den Bleiglasfenstern sind mit Schlümpfen und Mickey-Mouse-Fi-guren übermalt. Das Geschrei der Kinder läßt sogar manchen Agnostiker sich nach geweihter Stille sehnen.

„Wir haben der Diözese versprochen, die Kirche nicht zu mißbrauchen", erzählt der Betreiber J. Bogers. „Moderne Menschen haben nicht mehr die Hoffnung, daß die Kirche wieder in Gebrauch genommen wird, aber die Diözese schon." Etwas ungewohnt kommt Bogers die Umgebung trotzdem vor. „Es berührt einen schon, vor allem, wenn ich abends durch die Kirche gehe, um das Licht auszumachen."

Weniger begeistert war die Reaktion der Kirche auf die Pläne der Gemeinde Arnhem, in der Sint-Euse-bius-kerk Wohnungen und Geschäfte zu bauen. Der Gedanke, daß in einem Gotteshaus unverheiratete Paare und Homosexuelle wohnen könnten, war Kardinal Adrian Simonis so unerträglich, daß er flugs den Abriß befahl.

In anderen Fällen haben die Gläubigen dagegen keine Wahl. Die kleine wallonisch-reformierte Gemeinde in Dordrecht, die seit 1635 ihre Messen auf französisch abhielt, sah ihr Gebetshaus in das Kaufhaus Termeu-len umgewandelt. „Man hat uns einfach rausgeschmissen", erzählt Kir-chengemeindesekretärinFeis-Putters. „Die Gemeinde Dordrecht meinte, daß Termeulen der Stadt Wohlstand bringen würde, und hat uns deswegen den Mietvertrag gekündigt."

Alternativlösungen gibt es selten. Unlängst brachte eine Sammelaktion für die abrißbedrohten Prinsenkerk und Opsiandingskerk unter reformierten Rotterdamern mehr als eine Million Gulden zusammen. Derartige Rettungen sind jedoch eine große Ausnahme.

Manche machen aus der Not eine Tugend. Für den Architekten Hans Hagenbeek ist die Neugestaltung alter Kirchen eine große Herausforderung. „Vielen neuen Gebäuden fehlen jene Schönheit und räumliche Qualitäten gänzlich... Die Kirchen, wo ich mit meinen Eltern hinging, waren kahle reformierte Predigtschuppen, Sitzungssäle. Ich war immer eifersüchtig auf die Exaltiertheit der Katholiken." 1975 entwarf Hagenbeek für die Amsterdamer Zuider-kerk eine Neugestaltung großen Stils. „Ich wollte unter dem hohen Gewölbe eine Art Kleinstadt machen, die einem das Gefühl vermittelt, daß die Gassen des Viertels bis in die Kirche reichen... Eine Unterkunft für alles, was ein Wohnviertel braucht: ein Kommunikationszentrum, ein Kindergarten, ein Kaffeehaus, ein Markt, ein Arztezentrum. Alles aus Stahl und Glas." Die Autoritäten befanden den Entwurf schließlich als zu teuer und nicht ganz der Umgebung angemessen. Die Zuiderkerk fungiert heute als Informationszentrum der Gemeinde Amsterdam.

.Denjenigen, die sich um die Entweihung der Kirchen sorgen, bietet sich manchmal ein weniger profaner Neuzweck an. Die freikatholische Kirche in Eerbeek etwa konnte als Gebetshaus erhalten bleiben. Als türkische Moschee.

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