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Kirche als öffentliches Gewissen

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Der Arbeitswelt gilt das besondere Augenmerk des Linzer Oberhirten und österreichischen „Sozialbischofs" Maximilian Aichern

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Der Arbeitswelt gilt das besondere Augenmerk des Linzer Oberhirten und österreichischen „Sozialbischofs" Maximilian Aichern

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diefurche: Wenn man von der christlichen Tugend der Bescheidenheit absieht — aufweiche Dinge kann die Diözese Linz besonders stolz sein? Bischof Maximilian Aichern: Vielleicht ist kein Anlaß zum Stolz, aber genug zur Freude und zur Dankbarkeit. Die Bischöfe Zauner und Wagner haben in den Nachkriegsjahren viel gebaut. Es gibt viele Menschen, die die Seelsorge mittragen. Es gibt eine insgesamt gute Zusammenarbeit sowohl in den Pfarren als auch auf diözesaner Ebene. Auch die Opferbereitschaft der Oberösterreicher für die Entwicklungshilfe und im Bahmen der Caritas ist sehr beachtlich. Kurz: In der Diözese gibt es eine gute christliche Tradition, sehr viele aktive Gläubige, also eine lebendige Kirche.

diefurche: Gibt es Probleme, die in der Diözese Linz vielleicht größer sind als anderswo?

AlCHERN: Die Problemlage ist in vieler Hinsicht vergleichbar mit der anderer Diözesen. Vielleicht trifft der Strukturwandel unsere Diözese mehr als andere, weil eine sehr starke Industrialisierung stattgefunden hat und noch immer stattfindet. Weiters haben wir viele Flüchtlinge, Gastarbeiter und Asylanten. Ein Problem sind auch die relativ hohen Zahlen der Kirchenaustritte. Anderseits wird das kirchliche Klima bei uns immer wieder als menschenfreundlich und angenehm empfunden. Insgesamt scheint es sich mehr um graduelle Unterschiede zu anderen Diözesen zu handeln und weniger um essentielle.

DIEFURCHE: Sie persönlich sind Österreichs „Sozialbischof'. Wie äußert sich das soziale Engagement der Kirche in Ihrer Diözese? AlCHERN: Das deutlichste Merkmal sind die ausgedehnten Betriebseel-

sorgezentren, die zum Teil seit über 40 Jahren bestehen und durch Bischof Zauners Förderung entstanden sind. Wir haben aber auch die Arbeitslosenstiftung und die damit zusammenhängenden Aktivitäten, die regionalen Beratungsstellen der Caritas, den Flüchtlingsfonds mit mehreren Beratungs- und Hilfsstellen, die Obdachlosenbetreuung und die Ehe- und Familienberatung, die zwar im wesentlichen dem pastora-len Bereich zuzuordnen ist, aber doch eine starke Sozialkomponente enthält. Außerdem gibt es meines Wissens keine andere Diözese, die im Pastoralamt ein eigenes Sozialreferat hat — mit den damit verbundenen Aktivitäten.

DIEFURCHE: Wie sehen Sie das Problem, Brucken zwischen der Kirche und den Arbeitnehmern, aber auch zwischen der Kirche und der Wirtschaft zu schlagen? AlCHERN: Die Beziehung zwischen der Arbeiterschaft und der Kirche hat sich im wesentlichen entkrampft und ist in vieler Hinsicht einem freundlichen Nebeneinander und in sozialen Belangen einem guten Miteinander gewichen. Ich selbst versuche bei Pfarrbesuchen, wenn es nur irgendwie möglich ist, auch Betriebsbesuche zu machen, Menschen an Arbeitsstätten zu begegnen, mit ihnen über ihre Fragen zu reden, das sind soziale, aber auch kirchliche und religiöse Fragen. Da meine ich schon, daß ich spüre, wie es den Menschen geht und was sie der Kirche zu sagen haben. Das Wort ergreifen für Fragen, die der Sozialhirtenbrief der österreichischen Bischöfe aufwirft, und zur Interpretation der päpstlichen Soziallehre, das ist dann vor allem auch bei Betriebsräten immer mein Anliegen. Die Bemühung, mit der Wirtschaft und den Unternehmern Verbindung

zu halten, entwickelt sich bei uns gut. Es gibt seit Jahren den Arbeitskreis Kirche und Wirtschaft, den Propst Wilhelm Neuwirth vom Stift St. Florian leitet, aber auch ich selbst bin in Gespräche eingebunden. Es herrscht das Bemühen unserer Diözese und auch von meiner Seite, im Geist des Sozialhirtenbriefes in einem ständigen Dialog mit der Welt der Arbeit zu stehen.

DIEFURCHE: Wie kann die Kirche in der konkreten schwierigen Lage — allerorten Rezession, steigende Arbeitslosigkeit - gute Dienste anbieten? AlCHERN: Die Kirche Oberösterreichs ist vor allem durch die in der Betriebsseelsorge tätigen Priester und Laien in diese Problematik sehr eingebunden, sie kann das Gespräch mit allen Betroffenen führen, sie vor allem mit Hoffnung menschlich stärken. Es kommt dann auch immer wieder die Arbeitslosenstiftung als Hilfestellung zum Tragen. Es geht darum, die Öffentlichkeit zu sensibilisieren und aufmerksam zu machen, daß es um den Menschen geht, um seine Würde, den Menschen, der nicht auf der Strecke bleiben darf, für den auch weiter gesorgt werden muß. Ich denke, die Kirche kann keine Wirtschaftskonzepte entwerfen, muß aber das Gewissen in der Öffentlichkeit sein.

DIEFURCHE: Andere österreichische Bischöfe müssen oft Kritik von „progressiver" Seite einstecken, in Ihrer Diözese gehen vor allem sogenannte konservative Gruppierungen eigene Wege. Wie ist Ihr Verhältnis zu diesen Katholiken?

AlCHERN: Die Existenz konservativer Gruppierungen ist an sich noch kein Problem. Es gibt in unserer Diözese wie auch in anderen Diözesen Gläubige, die meinen, die Kirche ist zu weit vorne, andere wieder meinen, die Kirche ist zu weit hinten. Ein Bischof kann nur in der Mitte gehen und versuchen, alle zu verstehen, aber klar und deutlich den Weg der Kirche anzusprechen, der nach dem II. Vatikanum und auch durch das Lehramt gegangen wird. Ich meine, mit keiner Gruppierung dürfen Gespräche abgebrochen werden. Problematischer sind fundamentalistische Tendenzen und die nicht selten mangelnde Toleranz einzelner Vertreter solcher Gruppen. Es werden so manche Vorwürfe gemacht, die nicht der Wahrheit entsprechen.

DIEFURCHE: Der Präsident der Linzer Katholischen Aktion, Eduard Ploier, hat kürzlich eine neue gesamtösterreichische Anstrengung der'Kir-che, etwa einen Katholikentag, angeregt Wie stehen Sie dazu? AlCHERN: Eine gesamtösterreichische Anstrengung, um auf pastorale und gesellschaftliche Probleme eine entsprechende Antwort zu finden, halte ich für sinnvoll. Wie eine solche Anstrengung erfolgt, ob als Vorbereitung auf einen Katholikentag, auf ein gesamtösterreichisches Forum oder auf einen vernetzten Prozeß, der besonders die Basis miteinbezieht, das ist eine Frage, übef die sich besonders die Mitglieder der Bischofskonferenz noch abklären müssen. Wie in anderen Diözesen ist in der Diözese Linz momentan ein Prozeß im Gang, der die Frage nach der Seelsorge in der Zukunft zu beantworten hat.

Vielleicht könnte im Jahr 2000 eine gesamtösterreichische Veranstaltung die Erfahrungen der Diözesen bündeln. Ob das schon jetzt bei der Herbstkonferenz besprochen wird, weiß ich nicht.

Das Gespräch

fiihrte Heiner Boberski

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