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Kirche im Dilemma

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Nach drei Jahren ist das Wiener Diözesanfdrum mit einer Versammlung der Delegierten und einer Begegnung mit der Jugend zu Ende gegangen. Wurden auf die Anliegen des Kirchenvolkes echte Antworten gegeben?

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Nach drei Jahren ist das Wiener Diözesanfdrum mit einer Versammlung der Delegierten und einer Begegnung mit der Jugend zu Ende gegangen. Wurden auf die Anliegen des Kirchenvolkes echte Antworten gegeben?

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Wie zu den vorangegangenen Tagungen kamen auch zur letzten Delegiertenversammlung des Wiener Diözesanforums im Wiener Don-Bosco-Haus nur etwa 60 Prozent der Stimmberechtigten. Am 16. Oktober wurden noch einige Papiere beschlossen, aber einige Themen blieben offen und wurden zur Weiterbearbeitung bestimmten Institutionen übertragen. Am 17. Oktober standen „Gesprächsforen, der Delegierten und Jugendlichen zu den bisherigen Ergebnissen des Diözesanforums" auf dem Programm, doch geredet wurde - was vermutlich auch besser war - nicht über die „bisherigen Ergebnisse", sondern über Anliegen der Jugend in den Bereichen Sexualität, Visionen von der Kirche, Frau in der Kirche und Ausländer-Problematik.

Am ersten Tag lagen die Höhepunkte klar im sozialen Bereich. Caritas-Direktor Helmut Schüller hob die politische Dimension der Caritas hervor und machte deutlich, daß die karitative Arbeit der Kirche in jüngster Zeit „eine steigende Wertschätzung von außerhalb" erfahre. Ein vom Diözesanausschuß für Caritas vorgelegtes Papier, das auf die wichtige Rolle der christlichen Gemeinden bei der Erfüllung des „diakonischen Grundauftrages" der Kirche hinwies und die Einbindung in eine weltweite Solidarität betonte, fand breite Zustimmung.

Ebenso einhellig wurde eine von der Kommission für Kirche und Politik vorbereitete Entschließung zur Wohnsituation verabschiedet, die -auf der Basis der Enzyklika „Centesi-mus annus" - gegen „Strukturen der Sünde" in diesem Bereich auftrat und sich für die Wahrung der moralischen Bedingungen einer glaubwürdigen „Humanökologie" aussprach: „Wer Wohnraum ohne zwingenden Grund unbenutzt läßt oder gegen unangemessene Gegenleistung verwertet, mißbraucht seine Eigentums- oder Verfügungsmacht und seinen Auftrag als Schöpfungsgehilfe Gottes."

Positiv aufgenommen wurden auch von Oberin Christine Gleixner präsentierte Texte zu den Themen Ökumene (hier soll die Information über den Islam verstärkt werden) und Liturgie (hier sei manches „Selbstverständliche leider noch nicht selbstverständlich").

Als ein Redner beim von Generalvikar Rudolf Trpin zum Thema „Gewissen/Gewissensbildung" vorgelegten Papier anmerkte, Gewissensbildung sollte sich am Lehramt orientieren, stellte sich amüsanterweise heraus, daß das Papier bis auf drei verbindende Zeilen nur die Botschaft des Papstes zum Weltfriedenstag 1989 zitierte, dem Wunsch also bereits Rechnung getragen worden war.

Als noch unzureichend wurde der Text der Diözesankommission für Verkündigung bewertet. Der Priesterrat, der sich nicht imstande gezeigt hatte, zum Thema „Priester" (neben dem Thema „Frau in der Kirche" ein Hauptanliegen in den ursprünglichen 8.000 Eingaben von über 160.000 Personen an das Präsidium Forums) „ein Papierl vorzulegen" (so ein kritischer Delegierter), wurde nicht aus der Pflicht entlassen, sondern beauftragt, an einem solchen Papier (unter Laien-Beteiligung) weiterzuarbeiten.

Heiß diskutiert wurde über das Thema Kirchenbeitrag, da mehrere Delegierte meinten, sie könnten es nicht mit dem Evangelium vereinbaren, wenn gegen Beitragsverweigerer gerichtlich vorgegangen werde. Andere wiesen darauf hin, daß die Existenz kirchlicher Angestellter daran hänge und ein freiwilliger Beitrag sicher weniger Einnahmen brächte. Der Wunsch der Delegierten lautet: Der Pastoralrat möge sich nochmals eingehend mit der Materie befassen. Und die Öffentlichkeit könne man ruhig dahingehend informieren, daß sich die Kirche in dieser Frage in einem echten Dilemma sehe.

Zum Thema Katholische Hochschuljugend (KHJ)/Katholische Hochschulgemeinde (KHG) berichtete Weihbischof Christoph Schönborn, daß der Konflikt „weitgehend, aber noch nicht ganz gelöst" sei. Er lehne einen alleinigen Führungsanspruch der KHJ in der KHG ab und könne sich auch noch mehr Zentren als die jetzigen zwei vorstellen.

Kardinal Hans Hermann Groer erklärte „bei meiner Ehre als Ordinarius", bis 30. Juni werde die Frage „Wiener Kirchenzeitung" gelöst sein. Ein Journalist „erster Klasse, erfahren, gläubig und loyal", werde die Nachfolge von Josef Bauer antreten, dem Groer für seine jahrzehntelange Arbeit dankte. Der Kardinal zog abschließend eine positive Bilanz des Diözesanforums, das als dreijähriger Prozeß des gemeinsamen Betens und Überlegens ein „Unikat" gewesen sei.

Viele Delegierte machten aus mancher Enttäuschung - zuviel von den Anliegen des Kirchenvolkes sei „versickert" - kein Hehl, und sie mahnten ein, in einem Abschlußpapier wenigstens zu versuchen, auf alle Eingaben Antworten, wenn auch oft unzureichende, zu geben. Aber auch kritische Delegierte versicherten, daß zwar keine großen Veränderungen in der Kirche Wiens eingeleitet wurden, zumindest aber zwischen den teilnehmenden Personen gute Gespräche geführt und wertvolle Kontakte geknüpft werden konnten.

Das traf auch auf den Jugendtag zu, an dem alle Wiener Bischöfe - Weihbischof Schönborn sogar ununterbrochen - teilnahmen und der eine Wiederholung finden sollte. Der Dialog zwischen Jung und Alt schien an diesem Tag kein Problem, aber umstrittene Detailfragen kamen im Plenum auch kaum zur Sprache, eher allgemeine Wünsche (mehr Akzeptanz von Frauen und Jugendlichen in der Kirche, Dialogbereitschaft, Widerstand gegen Ausländerfeindlichkeit, Sorge um Randgruppen) und Schlagworte („Eine Kirche, die nicht dient, dient zu nichts", „Feiern statt leiern").

Viel Applaus erhielt ein junger Priesterseminarist, der „katholisch" als „allumfassend" verstanden wissen wollte und feststellte, er stehe keiner speziellen Gruppierung in der Kirche (sei es Opus Dei, Legio Ma-riae, Charismatische Erneuerung oder Neo-Katechumenaler Weg) nahe und sei „trotzdem katholisch".

Daß kein Lehrling und kein Vertreter der Arbeiterjugend unter den über 100 Jugendlichen war, wurde zu Recht als „Skandal" empfunden. Der Vorschlag eines Jugendlichen, die Kirche nach außen nicht als System von Normen und Geboten erscheinen zu lassen, auch wenn sie es natürlich sei, stieß mit Recht auf Kritik: Das wäre verlogen und würde das Bild eines „ugly catholic" heraufbeschwören, der anders denke als er rede. Genau daran wird sich aber die Kirche, werden sich die Christen - und zwar nicht nur in Wien - in Zukunft noch viel mehr messen lassen müssen: an der Übereinstimmung von Theorie und Praxis, von Worten und Taten, eben an ihrer Glaubwürdigkeit.

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