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Kirche im kleinen: Ehepaar sucht Gleichgesinnte

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Die Familienrunden sind ein eigenartiges Phänomen. Sie treffen einander in den Wohnungen zu drei bis sechs Ehepaaren, in der Regel monatlich, um über ihr Leben als christliche Familie zu sprechen, Erfahrungen und Anregungen auszutauschen, einander mit Rat und Hilfe beizustehen und gemeinsam zu beten. Gefunden haben sie einander auf verschiedene Art: Ein Ehepaar lädt andere ein, die dasselbe wollen, oder ein Priester führt Interessierte zusammen, oder Angehörige einer großen Organisation bilden eine „Familiengruppe“. In einigen Fällen werden sie von der Pfarre als großer „Familienkreis“ geführt, zu dem sich im Pfarrheim einige Dutzend Menschen zusammenfinden, um Fragen des christlichen Familienlebens zu besprechen und lebendige Gemeinschaft zu sein.

Eigenartig ist ihre Entstehung. Die offizielle Kirche (Konzil, Synoden) bejaht sie und fordert ihre Gründung. Die Österreich-Synode hat das so formuliert: „Im Rahmen des Pastoralkonzeptes soll den Ehe- und Familienrunden oder -gruppen erhöhte Bedeutung zugemessen werden. Diese fördern die persönlichen Kontakte, heben die Isolierung vieler Gemeindemitglieder auf, gliedern sie in eine größere Gemeinschaft ein, erleichtern die christliche Lebensführung und ermöglichen eine intensive Ehe- und Elternbü-dung.“

Die Gründung geschieht jedoch nicht von oben, nicht von den Zentralen her. Sie büden sich an der Basis, in den Pfarren, aber auch vielfach auf Privatinitiative einiger Ehepaare. Nach dem Krieg wurde die Idee aus Frankreich importiert, von wo aus sich einige große Bewegungen, vor allem die „Equipes Notre Dame“ (Familiengruppen unserer lieben Frau, END), rasch in der ganzen Welt verbreiteten.

Mit ähnlicher Zielsetzung und Ar-

beitsweise begann in Österreich die „Kana-Gemeinschaft“ als eine besondere Form der marianischen Kongregationen. Die Idee zündete und verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Der österreichischen Mentalität entsprechend schlössen sich aber nur verhältnismäßig wenige den beiden Bewegungen an, den anderen waren sie zu verbindlich. Man übernahm Idee und Methode und jeder gründete „seine“ Familienrunde. END und Kana-Gemeinschaft sind eher klein geblieben und üben die Rolle des Inspirators und „Sauerteigs“ aus.

Die meisten Gruppen sind in einer Pfarre beheimatet, etliche in Organisationen (Katholische Arbeitnehmerbewegung, Kolpingbewegung), viele aber auch ohne Verbindung mit einem kirchlichen Organismus. Die kirchlichen Zentralstellen befürworten sie, bieten Behelfe, Arbeitsunterlagen, Schulungen an, resignieren jedoch bei dem Versuch, sie organisatorisch „zu erfassen“, da sie sich jeder Anteilnahme von außen entziehen. So hat man auch nur Schätzungen über ihre Zahl: Es gibt in Österreich mindestens 1200 Familienrunden.

Die Meinungen über sie sind unterschiedlich. Die einen halten sie für die zukünftige Form kirchlicher Gemein^ schaft schlechthin. Viele Pfarrer bauen ihre ganze Pfarrarbeit auf den Runden auf. Andere wieder sind trotz der offiziellen Förderung mißtrauisch und befürchten Gettogeist und Sektierertum.

Was ist das Neue an dieser Form reli-

giöser Gemeinschaft gegenüber den Verbänden? Es ist vor allem die kleine Gruppe. Sie verträgt höchstens 15 Mitglieder. Kommen Neue dazu, wird entweder die Gruppe geteilt oder eine neue Gruppe gebildet. So gibt es nicht eine große, sondern viele kleine, in aktiven Pfarren bis zu 20 Gruppen. Das führt zu stärkeren persönlichen Beziehungen der Gruppenmitglieder untereinander und ermöglicht intensiven Austausch. Die Gruppe wird oft zum Freundeskreis. Weiters ist es die Dominanz der Laien. Die Gruppen werden vorwiegend von einem Ehepaar

geleitet, die Gestaltung des Gruppenlebens wird weitgehend von den Mitgliedern bestimmt. Der Priester gehört dazu, ist der geistliche Assistent, muß aber nicht immer dabei sein.

Die Selbsttätigkeit wird groß geschrieben. In der Kleingruppe ist die konventionelle Art von Referat mit Diskussion nicht angebracht. Jeder setzt sich aktiv mit dem gestellten Thema auseinander, jeder kann zu Wort kommen, bringt seinen Beitrag ein. Soweit es um Fragen des Glaubens geht, spielt sich hier existenzbezogene Verkündigung ab, die von der konkreten Situation des einzelnen ausgeht.

Dadurch unterscheidet sie sich stark von der Predigt. Das Beten in der Gruppe stellt eine hervorragende Schule des freigeformten situations-bezogenen Gebetes dar. In Fragen des Familienlebens ist sie permanente ehebegleitende Bildung sowie Schule des Gesprächs.

Die Vielfalt der Formen wird zum Grundsatz erhoben. Kaum eine Gruppe gleicht völhg der anderen, denn die besondere Form des Gruppenlebens wird von den Mitgliedern „maßgeschneidert“. Konzentriert sich die eine auf Glaubensfragen, legt eine andere ihren Schwerpunkt auf gemeinsame Gestaltung von Freizeit und Urlaub. Gerade die Anerkennung der Eigenständigkeit macht die Spontaneität und Lebendigkeit der Gruppen aus. Diese Vielfalt als Prinzip ist aber gerade für jene Skeptiker ein Grund zum Mißtrauen, die den Pluralismus in der Kirche noch nicht mitvollzogen haben.

Eine gute Familienrunde ist auch Kirche im kleinen. Die Wiener Diöze-sansynode formuliert das so: „Dem Gemeindeleben (Selbstverwirklichung der Kirche, Eingliederung in die Gemeinde, Arbeit für die Gemeinde) dienen insbesondere Gruppen, die selbst Gemeinde erlebbar machen und missionarisch wirksam werden.“ Die Familienrunden sind ein Modell für das System der Kleinrunden, das auch für andere Gruppierungen mit anderen Zielsetzungen in der Kirche zu verstärken wäre. Welche Bedeutung die Familienrunden damit für die Kirche haben, wird erst die Zukunft zeigen.

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