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Kirche im neuen Europa

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Anläßlich der feierlichen Amtseinführung des neuen Superiors von Mariazell hielt der Wiener Alterzbischof eine vielbeachtete Ansprache Uber den gleichbleibenden Auftrag der Christen Europas. Hier Auszüge daraus.

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Anläßlich der feierlichen Amtseinführung des neuen Superiors von Mariazell hielt der Wiener Alterzbischof eine vielbeachtete Ansprache Uber den gleichbleibenden Auftrag der Christen Europas. Hier Auszüge daraus.

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Kein Kontinent, kein anderer Erdteil, hat so viel zur Entdeckung der Welt beigetragen - mit allen positiven, aber auch negativen Konsequenzen. Kein Kontinent hat so viel Einfluß ausgeübt auf die anderen, durch seine geistigen und geschichtsmäch-tigen Kräfte, wie Europa. Kein anderer hat so viel zum geistigen Wachstum der Welt beigetragen: durch seine philosophischen Ideen, seine Wissenschaft und Technik, Erfindungen und Forschungen; durch sein Christentum, aber auch durch seinen Atheismus, Rationalismus und Materialismus; und das alles wurde exportiert in die Kolonien...

Es ist kein Zufall, daß Jahrhunderte hindurch Kirche und Europa, und in der Folge auch europäische Kirche und Weltkirche, weitgehend als identisch angesehen wurden. Es hat lange Zeit gedauert, bis sich in der Katholischen Kirche die Einsicht durchsetz-• te, daß es sich bei der Kirche Jesu Christi um mehr als eine europäische Kirche handle.

Beim Zweiten Vatikanischen Konzil wurde es besonders deutlich, daß es nicht richtig sei, wenn die Weltkirche in einem ausschließlich europäischen Kleid in Erscheinung trat. (Wenn europäische Baustile und kirchliche Kunst in afrikanische oder asiatische Kulturkreise hineingepflanzt wurden, erkennt man heute den Widerspruch. Denn bis in unsere Gegenwart hinein meinten Christen, mit der Frohen Botschaft und ihrem Missionsauftrag müsse man auch europäische Kultur, europäisches Denken, Wirtschafts- und Herrschaftsformen in andere Kulturen und Kulturkreise hineintragen. So ist die katholische Christenheit auch eine kolonialisierende Kirche gewesen, weil in ihrem Gefolge Kolonisatoren aus Europa gekommen waren.) - In einer Europa-Erklärung haben die Bischöfe dieses Kontinents im Jahre 1980 daher mit Recht folgendes festgehalten: „Es dürfte von immer größerer Bedeutung sein, daß die gesamte Kirche in voller Bewahrung ihrer Einheit... die vorwiegend europäische Prägung überwindet."

Rund 1000 Jahre war das christliche Welt- und Menschenbild eine einheitliche Grundlage für die größeren Zusammenhänge in Europa, für das Corpus Christianum. Seither ist diese geistliche, religiöse Kraft des Christentums geschwächt, durch einen zweimaligen Zerfall seiner ursprünglichen Einheit... Die in den vergangenen Jahrzehnten gewachsene ökumenische Bewegung bemüht sich, das Trennende zwischen den Kirchen zurückzustellen und die verloren gegangene Einheit der Christen als Aufgabe und Ziel zu sehen.

Im Gefolge des Zweiten Vatikanischen Konzils erklärten die Bischöfe

Europas auf einer Synode (1977): „Heute ist Europa politisch geteilt, religiös und weltanschaulich zerrissen; es steht im Schatten mächtiger politischer Kräfte. Aber die Menschen in Europa haben erkannt, daß sie nicht nur Verwalter der Vergangenheit, sondern auch Gestalter einer gemeinsamen Zukunft sind."

Dazu stelle ich fest: Weder durch vorausgegangene Spaltungen, noch durch die politisch motivierten Religionskriege im 16. und 17. Jahrhundert, noch durch einen in die Richtung der Säkularisierung weisenden Humanismus im Gefolge der Aufklärung, noch durch den religions- und kirchenfeindlichen Liberalismus des 19. Jahrhunderts, noch durch die durch zwei Weltkriege aufgebrochenen nationalistischen und rassistischen Irrwege konnten die christlichen Züge Europas ganz verdunkelt oder ausgelöscht werden.

Haben wir als Europäer und als Christen noch die Kraft, „nicht nur Verwalter der Vergangenheit, sondern auch Gestalter der Zukunft zu sein"? Die Bauleute eines neuen Europa, eines neuen „Hauses Europa" pochen bereits seit einiger Zeit auch an unsere Pforten. Viele kommen und sagen uns: Man sollte, man müßte... - Es gibt viel Interesse, viel Hoffnung, viel guten Willen, aber wenige sind es, die selbst Hand anlegen wollen und nicht nur Appelle an andere richten.

Wenige legen selbst Hand an

Gewiß war Europa der erste Kontinent, der sich vom christlichen Glauben ganz erfassen ließ. Aber nicht nur, um damit Einheit zwischen Nationen und Völkern zu stiften, sondern um in der Kraft des Glaubens an Jesus Christus und den Vater im Himmel Frieden zu stiften, im kleinen, wie im großen, die Botschaft vom Reiche Gottes als Sauerteig in die Geschichte der Menschen zu mischen...

Laßt mich in einem solchen Zusammenhang an den großen, heute vergessenen Kölner Theologen Matthias Scheeben erinnern. In seinen „Mysterien des Christentums" zeigt er uns, wie die Vergöttlichung der Schöpfung durch den Geist Christi das menschliche Ringen läutert und erhebt, um aus der „civitas terrena" Brücken zu schlagen zu einer „civitas caelestis"; eine Verbindung, durch die Christen in der Geschichte des Abend-

landes immer wieder leuchtende Spuren hinterlassen haben.

„Täuscht euch nicht", schrieb Paulus an die Christen im Galaterland in Kleinasien, (Brief an die Galater 6,7) „täuscht euch nicht. Gott läßt seiner nicht spotten. Was der Mensch sät, das wird er ernten." - Was unsere Väter, unsere europäischen Vorfahren, im Verlaufe des 18., bis hinein ins 20. Jahrhundert gesät haben, - angesichts einer in die Defensive geratenen verängstigten Christenheit, -mußten wir es nicht alles ernten, in den schrecklichen Jahren, beginnend mit den zwanziger Jahren, bis zur Zäsur der Dezembertage 1989?

„Wachen wir auf!"

Es war eine „Civitas terrena", die sich ganz vor dem verschlossen hatte, von dem wir kommen und zu dem wir gehen. Aber die Botschaft des Glaubens und damit auch der Kirche ist immer dieselbe geblieben.

Johannes Chrysostomus, der Patriarch von Konstantinopel, (+407), aus der nachkonstantinischen Zeit, ein großer Vertreter der „alten Kirche" des Morgen- und Abendlandes, spricht daher gewissermaßen zeitlos, auch zu den Christen des „neuen Europa". Ich zitiere aus seinem Kommentar zum ersten Timotheusbrief, in welchem er die Christen seiner und auch unserer Zeit anspricht:

„Leuchtet wie Licht in der dunklen Welt... man brauchte so etwas nicht zu sagen, wenn unser Leben wirklich leuchtete. Es brauchte keine Belehrung, wenn wir Taten sprechen ließen. Es gäbe keine Heiden, wenn wir wahre Christen wären, wenn wir die Gebote Christi hielten, ... aber: dem Geld huldigen wir genau wie sie (die Heiden), ja, noch mehr als sie. Vor dem Tod haben wir Angst wie sie. Armut fürchten wir wie sie. Krankheit ertragen wir schwerer als sie.... Wie sollen sie vom Glauben überzeugt werden? Durch Wunderzeichen? Wunder geschehen nicht mehr. Durch unser Verhalten? Das aber ist schlecht. Durch Liebe? Keine Spur davon ist zu sehen. Darum werden wir auch einst nicht nur über unsere Sünden, sondern auch über den Schaden Rechenschaft ablegen müssen, den wir angerichtet haben. ... Wachen wir auf! Geben wir ein Beispiel himmlischen Lebens auf der Erde!"

Dies, so möchte ich sagen, ist die bleibende Botschaft der alten Kirche an das neue Europa.

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