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Kirche in Österreich

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Wo steht die Kirche heute in der österreichischen Gesellschaft? Eine Frage, auf die es viele Antworten gibt. Das zeigte sich auch bei einer Tagung des Verbandes katholischer Publizisten Österreichs in Brixen (Südtirol), wo rund 60 Journalisten, Verleger und Herausgeber, von Bregenz bis Wien angesiedelt, eine aktuelle Standortbestimmung versuchten.

Das Tagungsthema „Kirche und Gesellschaft in Österreich“ war in einem weiten Rahmen angelegt. Zuerst analysierte der Grazer Univ.-Prof. Wolfgang Mantl das Verhältnis „Kirche und Staat, Kirche und Politik, Kirche und Parteien“.

Ausgehend vom Wertwandel unserer Zeit, den Mantl vor allem auf das Säkularisierungsphänomen und den Niedergang spezifisch-neuzeitlicher Werte zurückführt, entdeckte er bei der Kirche ein seltsames Schweigen auf die Folgen dieses Wandels, der auch in die Familien hineinwirke. Fragen der Sexualmoral und die durch den Wertwandel verursachten gesellschaftlichen und familiären Probleme (Geburtenrückgang, Überalterung und dergleichen) seien für die Kirche heute Tabuzonen.

Die zwei großen Niederlagen der Kirche Österreichs in der Politik sind nach Mantl die Freigabe der Abtreibung durch die Fristenlösung und die Nichtdurchsetzung in der Slowenenfrage: „Denn die Kirche konnte nichts dazu beitragen, den Nationalismus in Kärnten überwinden zu helfen“, präzisierte der Referent.

Mantl ortet für die Kirche große Zukunftschancen, wenn . sie sich nicht in eine sektenhafte Existenz zurückziehe. Das Stichwort von der „neuen Volkskirche“ fiel, der Kirche für alle, auch für die Hilfebedürftigen, für die Fußmaroden unserer Gesellschaft.

Sehr anregend, oft faszinierend, was Ex-ÖVP-Obmann J. Taus, jetzt Geschäftsführer der Constantia-Hol- dinggesellschaft, zum Thema „Kirche und Wirtschaft“ zu sagen hatte: Der „kritische Optimist“ Taus (Selbsttitulierung) sieht gerade jetzt die Zeit für einen Neubeginn der Diskussion günstig, wobei die neue Stoßrichtung sich um die Problematik Wirtschaft - Dritte Welt drehen müsse.

Taus wandte sich gegen die Wachs tumsskeptiker, unter denen sich auch viele Christen befänden, die sich damit ebenfalls im Widerspruch zwischen blinder Fortschrittsgläubigkeit auf der einen und asketischem Denken auf der anderen Seite verfangen hätten. Das Wachstum ’ müsse nur in die richtige Richtung gelenkt werden: für Taus in den Bereich der Kultur- und Informationspolitik.

Gegen das marktwirtschaftliche System könne sich die Kirche kaum stellen, weil sie sich gegen jede Art von privater wie öffentlicher Machtzusammenballung wenden müsse. Diese Ordnungsfunktion, Machtbegrenzung und Eigeninitiative zu fördern, komme auch dem Eigentum zu.

Der Referent Josef Taus entsetzte sich auch darüber, daß man vor kurzem blindlings alles der Wissenschaft zugetraut habe und heute anscheinend wieder ähnlich blind den Charismatiker fordere: „Die charismatische Demokratie gibt es nicht. Wir brauchen gesellschaftliche Spannungen, wir müssen diskus sionswillig sein, sonst ruinieren wir die politische Freiheit“

Stadtrat Jörg Mauthe breitete vor den Tagungsteilnehmern „unkonventionelle Gedanken eines liberalen evangelischen Christen“ aus. Er erzählte seine Lebensgeschichte, in der sich das Verhältnis zwischen katholischer und evangelischer Kirche widerspiegelte. Besonders markant, was ihm zu Papst Johannes XXIII. einfiel, in dessen Pontifikat er die Destruktion der Macht der katholischen Kirche sieht. Die Unsicherheit mit der katholischen Kirche - und mit seiner eigenen - sei ihm auch in der Folge geblieben.

Eine Podiumsdiskussion brachte weitere Aspekte zum Vorschein. Sty- ria-Generaldirektor Hanns Sass- mann zum heutigen Stellenwert der Kirche im öffentlichen Leben: „Zwei Tendenzen sind erkennbar: Einerseits das Weg von der konfessionellen kirchlichen Dogmatik, was eine große Gefahr bedeutet, anderseits das Weg vom transzendentalen Materialismus, was eine große Hoffnung darstellt.“ In dieser Situation müsse die Kirche autonom und selbstbewußt auftreten, sonst drohe ihr eine gesellschaftliche Stellung, die einem „Indianerreservat“ ähnlich sei.

Weihbischof Helmut Krätzel stellte drei Thesen auf:

• Die Kirche in Österreich wird nicht ernstgenommen, man versucht, sie auf das Ritual zu beschränken;

• die Kirche wird gerne gebraucht und mißbraucht, wenn das den Mächtigen ins Konzept paßt;

• die Kirche wird aber auch wirklich gebraucht.

Um den besonderen Herausforderungen in der heutigen Zeit zu begegnen, müsse sie deshalb mit politischen, aber nicht parteipolitischen Äußerungen an die Öffentlichkeit treten - und zwar so, daß sie auch verstanden würden.

Die Journalistin Renata Erich will allerdings keine politischen Argumente von der Kanzel herunter hören, sie will die Liebe gepredigt haben. Bis jetzt hätte das Kirchenvolk die Verantwortung, die ihm zugefallen sei, nicht verkraftet.

Vizebürgermeister Erhard Busek (ÖVP) beklagte, daß die Kirche unter ihrem Stellenwert geschlagen werde, auch von ihr selbst. Es gebe in vielen Dingen eine Nachfrage, die von der Kirche entweder gar nicht oder unklar beantwortet werde. Unsicherheit sei die Folge. Busek verlangte von der Kirche deshalb mehr Selbstbewußtsein: „Das, was die Kirche zu sagen hat, soll sie laut und selbstbewußt kundtun.“

Ähnlich äußerte sich Nationalratsabgeordneter Jörg Haider (FPÖ): „Es sollen nicht so viele Fragen gestellt, sondern Antworten gegeben werden. Denn in der geistigen Auseinandersetzung von heute vermißt man Orientierungshilfen.“

Der Vorarlberger Landtagsklubobmann der SPÖ, Ernst Winder, wünschte sich - wie Busek - eine selbstbewußtere Kirche. Im Gegensatz zum Wiener ÖVP-Obmann sieht er aber nicht die Gefahr eines „linken Integralismus“, nach dem die Kirche von der SPÖ vereinnahmt werden solle. Er hofft, daß das Verhältnis zwischen Kirche und SPÖ weiter entkrampft werde, zumal es Interessensüberschneidungen in verschiedenen Gebieten - etwa im Kampf gegen die sinnentleerte Arbeit - gebe.

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