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Kirche ist keine Partei

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Die öffentliche Diskussion über die Äußerungen von Bruno Kreisky zur Situation in Polen und zur Rolle der Kirche hat hohe Wogen geschlagen. Rupert Gmoser und Richard Bar-ta, zwei Männer, die in ihrem Wirkungsbereich für unbequeme Meinungen bekannt sind, wollen weder verniedlichen noch aufschaukeln, wohl aber zur Vernunft mahnen.

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Die öffentliche Diskussion über die Äußerungen von Bruno Kreisky zur Situation in Polen und zur Rolle der Kirche hat hohe Wogen geschlagen. Rupert Gmoser und Richard Bar-ta, zwei Männer, die in ihrem Wirkungsbereich für unbequeme Meinungen bekannt sind, wollen weder verniedlichen noch aufschaukeln, wohl aber zur Vernunft mahnen.

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Vor mir liegt der Wortlaut des Referates, das Bundeskanzler Bruno Kreisky am 14. Jänner vor der Vertrauenspersonenkonferenz der SPÖ in Wien gehalten hat. Der Punkt, der seither die heftigsten Diskussionen auslöste, waren die Ausführungen über die Rolle der Kirche in Polen und in dem Zusammenhang zwei historische Reminiszenzen über das Verhalten der'katholischen Kirche in Österreich, als die Sozialdemokratie in einem verzweifelten Abwehrkampf gegen den Aus-trofaschismus stand.

Ich zitiere die diesbezüglichen Äußerungen Kreiskys wörtlich:

„Wir finden es ein wenig als Heuchelei, wenn heute alle möglichen katholischen Politiker das bejubeln, was in Polen geschieht, obwohl sie das getan haben, was in Osterreich in den dreißiger Jahren geschehen ist." ~

Die zweite Bemerkung: „Ich habe vorhin schon davon gesprochen, wie kalt und gefühllos der Nuntius 1934 über das berichtet hat, was sich in Österreich ereignet hat."

Und in bezug auf die polnische Kirche heißt es: „Die neue polnische Arbeiterbewegung hat Großartiges geleistet-in der Organisation der Menschen. Sie ist politisch offenbar führungslos gewesen. Kein Wunder, die katholische Kirche ist eine große moralische Autorität. Aber daß sie besondere Voraussetzungen hätte, eine große Arbeiterbewegung zu führen, das kann niemand behaupten. Und so hat man zwar eine Protestbewegung moralisch gestützt, aber man hat den Leuten nicht gesagt, was man zu tun hat, um diesen Staat so zu organisieren, daß er einigermaßen für die arbeitenden Menschen funktioniert."

Mit den ehrlich besorgten Stimmen auf katholischer Seite sollten sich gerade Sozialdemokraten, denen das Verhältnis Kirche und Arbeiterbewegung nicht erst seit Kreiskys Regierungsantritt, sondern viele Jahre vorher schon ein besonderes Anliegen war, ernsthaft auseinandersetzen.

Dazu nur eine kleine persönliche Vorbemerkung: Ich war nie Katholik, aus der evangelischen Kirche bin ich ausgetreten, als ich immer mehr den Eindruck gewann, die Amtskirche befleißigt sich eines Verhaltens, das mit evangelisch wenig zu tun hat. Wer mich deshalb als antiklerikal abqualifizieren möchte — ich stelle es ihm frei.

Ich habe mich immerhin in der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit mehr als 25 Jahre um das Gespräch Kirche und Arbeiterschaft bemüht. Ich habe allerdings nicht das Recht oder auch nur die Absicht, von einem Parteikatheder aus unanfechtbare Dogmen zu verkünden, sondern kann nur meiner persönlichen Meinung Ausdruck verleihen.

Ich halte den Hinweis auf das Jahr 1934 im Zusammenhang mit Polen für geeignet, Erinnerungen wachzurufen, die vielleicht zu sehr Ressentiments auf beiden Seiten auslösen müssen und die vor allem vom Kern der Aussage über das Hier und Heute abschweifen lassen.

Ich verstehe allerdings, daß eine Generation von Sozialisten, die eine katholische Kirche in der Zeit des Austrofaschismus ungleich bewußter erlebt hat als ich (Jahrgang 1931), in ihrer Einstellung zum politischen Verhalten der Kirche auch heute von den eigenen geschichtlichen Erfahrungen nie ganz loskommen wird. Alles verstehen heißt nicht alles vergessen.

Bezüglich der Problemstellung in unserer Zeit, scheint mir aber die Aussage über Kirche und Politik viel entscheidender. Hier kommt es offensichtlich immer wieder auf beiden Seiten zu Mißverständnissen, sowohl was die Beurteilung des Spannungsverhältnisses von Kirche und Politik betrifft, als auch in bezug auf das Selbstverständnis der Kirche.

Die Kirche ist heute Gott sei Dank weder Partei noch Gewerkschaft. Es steht ihr nicht zu, in solchen Verbänden eine Führungsrolle zu beanspruchen oder auszuüben — und sie will es in der Mehrzahl der Fälle sicher gar nicht.

Aber nichts schiene mir falscher, als Kirche in ein Ghetto namens Jenseits abschieben zu wollen. Kirche und Christentum haben von Anfang an eine eminent politische Aufgabe — mahnendes Gewissen in einer Welt zu sein, die immer wieder vom Tanz ums Goldene Kalb fasziniert war. Die Kirche ist legitimerweise Verteidigerin der Menschenwürde und damit Trotzmacht der Freiheit.

Aber kann man aus den Krei-sky-Zitaten Antiklerikalismus ableiten? Die österreichische Sozialdemokratie hat in der Geschichte der Zweiten Republik ein neues Verhältnis zur Kirche gefunden, das sich nicht nur für Kirche und SPÖ sondern für das geistige Klima in unserem Land schlechthin positiv ausgewirkt hat.

Niemand von den Verantwortlichen auf Seiten der sozialistischen Partei will Kirchen- und Kulturkampf von anno dazumal wieder beleben. Welchen Sinn soll es haben, das in Zweifel zu ziehen? Das Argument, die Kreisky-Rede stütze doch nur die polnische Militärdiktatur, kann von niemandem ernst genommen werden, der die Rede miterlebt oder gelesen hat.

Für mich persönlich gebe ich allerdings zu, ich sehe Probleme in der derzeitigen Entwicklung Polens, die es mir richtig erscheinen lassen, bei allem Mitleid mit einem Volk, das so unendlich viel in der jüngsten Geschichte erlitten hati trotzdem auch kritische Fragen zu stellen.

Zum Beispiel: Ist die Gewerkschaft nicht grundsätzlich überfordert, will sie ein kommunistisches Gesellschaftssystem so reformieren, daß freie Gewerkschaften möglich werden? Oder, was mich tief bewegt hat, als ich vor 20 Jahren das erste Mal Polen besuchen durfte: Wie weit ist ein katholischer Priester gerade in dieser Kirche nicht in erster Linie Pole, geprägt vom Nationalstolz und im stillbaren Friedensbewußtsein? Welche Wirkung mußte es haben, wenn ein Pole, der Papst wurde, Polen besucht? Wurden hier nicht auch Illusionen geweckt, die unerfüllbar bleiben mußten?

Ich habe auf diese Fragen keine Antwort. Ich habe nur eine Bitte: Hüten wir uns vor allzu schnellem Urteil.

Der Autor ist Abgeordneter zum Nationalrat (SPO).

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