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Kirche ist mehr

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Um jeden Märtyrer, der starb, ist schade, und gar um Erzbischof Romero von San Salvador, den der Vatikan” umgebracht hat. Warten sollen wir auf eine Päpstin, die, ohne selbst zu glauben, aus Liebe zu freiheitsunfähigen Mitmenschen Gott neu erfindet, und die Tiara gleich dazu...

Es war ein „Club 2” zum Thema „Kirche zwischen Anpassung und Widerstand” mit vielen Anreizen, der Anpassung an die dort vertretenen Kirchenbilder Widerstand zu leisten.

Ja, auch die Annalen der Kirche sind voll von Unmenschlichkeit, Raffgier, Machtmißbrauch, Folter, Neid, Haß, Geiz, Lug, Trug und tausendfachen Mord.

Aber das ist doch die Geschichte einer Kirche, die aus Menschen besteht, die zu erlösen Christus gekommen war — nicht eine Geschichte von Heiligen und Göttern, die keiner Erlösung bedürfen!

Ja,, die Kirche hat eine große Aufgabe, den Unterdrückten und Armen in Lateinamerika zu Würde und Brot zu verhelfen. Aber in Indien auch. Und in der Sahara. Warum fällt katholischen Priestern bei der Suche nach Vorbildfiguren unserer Tage nicht einmal Mutter Teresa mehr ein?

So klein, so beschämend klein waren die meisten der Kirchenbilder, die man hier vorgesetzt bekam!

Gott ist unendlich größer. Gott ist für alle Menschen da.

Und sie alle brauchen und so viele von ihnen suchen ihn — aber nicht allein im Gewerkschaftssekretariat der Campesinos oder in der Caritaspaketzentrale, auch im Beichtstuhl und am Altar, als Hilfe für Leben und Sterben in Armut ebenso wie im Uberfluß.

Und damit ihnen dieser Gott in Menschen, die sich zu seinen Werkzeugen machen, begegnen kann, müssen die Kirchenführer in allen Systemen und historischen Situationen auch immer wieder die Anpassung suchen, den Pakt mit den Mächtigen, den Kompromiß mit der weltlichen Gewalt.

Nur so können Kinder getauft, Schuldiggewordene losgesprochen, Einsame getröstet, Verfolgte gestärkt, Sterbende ermutigt werden. Wenn nur der Widerstand und das Blutzeugnis Auf ga-

HUBERT FEICHTLBAUER be der Kirche wären: Wäre das nicht die billigste, die schönste Selbstbefriedigungsflucht aus der Dauerverantwortung für jene, die bleiben, überleben, weitermachen müssen?

Freilich: Wäre nur die Anpassung ihr Mandat, käme allzu rasch und allzu grauslich eine Kirche der Komplizen dabei heraus. Mitmacher, Mitmischer, Mitschneider, Mittäter — der Ekel über sie faßte uns alle gründlich an.

Deshalb wird es, deshalb muß es dieses Spannungsverhältnis zwischen denen, die das Notwendige und Nützliche, und jenen, die das Tapfere und Herausfordernde tun, immer geben. Warum hat man Hansjakob Stehle so alleingelassen bei seinem Versuch, dieses Offenkundige und Selbstverständliche begreifbar zu machen?

Gott fällt in seiner Selbstoffenbarung über die Menschheit nicht wie ein Fabelwesen aus fremder Welt herein. Kein Israelit hätte ihn verstanden, hätte er sich vor 2000 Jahren als Gott der Feindesliebe geoffenbart.

Er hat sich zuerst als Verbündeter des Volkes, das ihm anhing, im Kampf gegen dessen Widersacher dargestellt Allmählich wuchs das

Verständnis seiner Größe in diesem Volk, in anderen Völkern, in der Menschheit.

„Als die Zeit reif war”, kehrte Gott in seiner Fülle in Menschengestalt ein. Und auch das durch Jesus Christus Geoffenbarte umzusetzen, tun wir uns seit zwei Jahrtausenden schwer genug.

Aber das ist kein Wunder, sondern notwendige Erfahrung. Menschen sind nicht über Nacht zu verwandeln. Ihre Unterschiedlichkeit ist groß. Und weil und solange sie in Gruppen, Klassen, Parteiungen gespalten sind, wird auch die Kirche an diesen Spaltungen, Interessengegensätzen, Wirrungen und Irrungen Anteil haben.

Und dennoch ist das vor 200 Jahren gesäte Wort voll ungeheurer Sprengkraft. Entgegen allen Unkenrufen hat es die Welt bereits verwandelt und verwandelt sie immerfort: langsam, unendlich mühevoll, doch unaufhaltsam.

Und weil Menschen Menschen sind, auch wenn sie an Gott glauben, können auch Bischöfe und Theologen, christliche Unternehmer ebenso wie Gewerkschafter, Generäle und Päpste die Wahrheit verdunkeln, verfehlen, verraten.

Und weil alle Menschen zur Erkenntnis berufen sind, können auch Agnostiker und Atheisten und Ketzer Teile der verschütteten Wahrheit immer wieder heben, bewußt machen, verteidigen — selbst gegen kirchliche Inquisitoren.

Das macht Kirche nicht falsch, schon gar nicht entbehrlich, aber doch verstehbar. Und das Ziel der Menschheitswanderung erkennbar. Man kann dieses herbeibeten, herbeiarbeiten, herbeileiden, vor allem herbeilieben — aber am al-lerschwersten offenbar herbeidiskutieren.

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