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Kirche nach 1945: Rom war weit...

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Wie war sie eigentlich, die „vorkonziliare“ Zeit? Der folgende Beitrag ist subjektiv, schildert eher positive Erinnerungen, begrüßt aber noch mehr die Reformen des II. Vatikanums.

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Wie war sie eigentlich, die „vorkonziliare“ Zeit? Der folgende Beitrag ist subjektiv, schildert eher positive Erinnerungen, begrüßt aber noch mehr die Reformen des II. Vatikanums.

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Als Österreich und damit auch seine Kirche 1945 von der NS-Dik-tatur befreit wurde, war ich fast 20 Jahre alt und seit einem Jahr aktives Mitglied der Wiener Katholischen Hochschulgemeinde Karl Strobls. Nach Studienabschluß und Berufseintritt begann ich, mittlerweile fast selbstverständlich Mitglied des Katholischen

Akademikerverbandes, dessen Geistlicher Assistent bis zu seinem Tod Otto Mauer war, mich stärker im Akademikerverband zu engagieren.

Das bedeutet, daß ich während der gesamten vorkonziliaren Zeit ab 1945 in der Katholischen Aktion und in Personalgemeinden beheimatet war und meine Erinnerungen an die „vorkonziliare Zeit“ bis in die letzten Jahre des Pontifikats Papst Pius' XII. überwiegend positive sind. Das hängt ohne Zweifel mit der Persönlichkeit der beiden genannten Priester zusammen.

Wir Laien wurden voll in die Leitung und Gestaltung miteinbezogen. Die Priester, „geistliche Assistenten“, „befahlen“ nicht, sondern standen mit uns in dauernder Verbindung. Sie hörten uns nicht nur zu, sondern akzeptierten auch vieles von den Vorstellungen der Studenten und jungen Akademiker.

Strobl hat uns noch in den letzten Kriegsjahren mit uns unbekannter, weil „verbotener“ großer Literatur bekannt gemacht. Was die Liturgie betrifft, so gab es auch Eucharistiefeiern in Privatwohnungen. In die Krypta von St. Peter lud Strobl Theologen zu Vorträgen ein. Einer von ihnen, Karl Rahner, wurde durch das II. Vatikanum weltberühmt.

Alle Referenten in dieser „Kirche im Untergrund“ stellten sich offensichtlich gern den Fragen der Studenten. Otto Mauer hat durch seine regelmäßigen Bibelabende in der Postgasse unseren theologischen Horizont erweitert, unsere Kritikfähigkeit geweckt. Unser soziales Engagement kam nach der Befreiung in unseren freiwilligen Aufräumungsarbeiten in der Universität und in der Lebensmittelbeschaffung für die von Strobl gegründete erste Mensa zum Ausdruck.

Alle diese Fakten trugen ebenso wie unsere Unkenntnis von den „Sündenfällen“, auch der Kirche oder mancher ihrer Amtsträger und vieler Laien in der NS-Zeit und davor, dazu bei, daß wir mit und in dieser Kirche im Einverständnis lebten. Rom war weit... Die meisten von uns hatten es noch nie gesehen.

Später wurde es kälter. Die Dogmatisierung der leiblichen Himmelfahrt Mariens 1950 war uns nicht recht verständlich.

Dann hörten wir von den Schwierigkeiten, die zum Beispiel Karl Rahner mit dem Heiligen Offizium, der heutigen Glaubenskongregation, hatte. Wir sammelten zu seiner Unterstützung Unterschriften. Wir begeisterten uns für die französischen Arbeiterpriester und konnten nicht begreifen, warum sie abberufen wurden oder sich von der Kirche trennen mußten. Wir sahen und erlebten die Konflikte, ja Tragödien, in die gläubige Katholiken durch die kirchlichen Vorschriften für Ehe und Familie gestürzt wurden. Es war daher kein Wunder, daß auch bei uns Kritik und Reformwünsche wuchsen.

Als die damals von Otto Mauer, Otto Schulmeister, Karlheinz Schmidthüs und Anton Böhm seit 1946 herausgegebene anspruchsvolle Zeitschrift „Wort und Wahrheit“ nach der Ankündigung des Konzils durch Papst Johannes XXIII. eine Umfrage veröffentlichte, was sich Katholiken von dem kommenden „ökumenischen Konzil“ erwarteten, war das Echo stark, die Erwartung groß. Wer sich ein differenziertes Bild machen will, braucht nur das Sonderheft von „Wort und Wahrheit“ vom Oktober 1961 zu lesen, das auch als Herder-Taschenbuch erschienen ist.

Ich selbst habe damals einige konkrete Forderungen gestellt, von denen ich nur die erste wörtlich zitiere: „In der Weltkirche von morgen wird das Kulturerbe der Antike und des christlichen Abendlandes nur mehr für einen geringen Prozentsatz der Christen relevant sein. Die katholische Philosophie und Theologie sollte dieser Entwicklung Rechnung tragen, wozu wohl auch zumindest eine Teilrevision des Gedankengebäudes der Scholastik gehören würde. Das Problem der geistigen Bewältigung z. B. fernöstlichen Gedankengutes dürfte aber nicht zum Ubersehen der Tatsache führen, daß wir z. B. noch keine entsprechende Theologie des Laien besitzen oder die Stellung der Frau im kirchlichen Raum auch heute noch sehr stark von der in der Summa theologia des hl. Thomas wurzelnden abschätzigen Beurteüung des „Weibes“ bestimmt ist.“

Weiters hielt ich eine Reform der Priesterausbüdung für notwendig und trat für eine Aufwertung des Diakonats ein. Alumnate und Seminare sollten freier und moderner geführt werden, das Internatssystem für künftige Weltpriester abgeschafft werden. Im Hinblick auch auf die Wiedervereinigung mit den getrennten Christen trat ich für eine Abschaffung des Index (der verbotenen Bücher), die Aufhebung des Syllabus Papst Pius IX. von 1864, den Papst Pius X. 1907 bekräftigte, und des „Antimodernisteneides“ ein, den alle jungen Priester schwören mußten.

Der Syllabus verdammte u. a. folgende Aussagen und Ansichten: „76. Die Abschaffung der weltlichen Herrschaft, die der Apostolische Stuhl besitzt, würde zur Freiheit und zum Glück der Kirche sehr viel beitragen“. „80. Der römische Papst kann und soll sich mit dem Fortschritt, dem Liberalismus und der modernen Zivilisation versöhnen und vergleichen“.

Daß das Konzil und durch dieses die Sechziger- bis in die Siebzigerjahre hinein, in denen es fast in jeder österreichischen Diözese eine Synode und schließlich doch auch einen gesamtösterreichischen Synodalen Vorgang, d. h. eine Nationalsynode, gab, für uns eine Hoch-Zeit war, brauche ich wohl nicht mehr erklären. Sicher haben wir in unserer Euphorie auch aus manchen Konzüstexten mehr herausgelesen, als wirklich in ihnen stand.

Mittlerweile ist die Liturgiereform durchgeführt, die neuen Gremien (Pfarrgemeinderäte, Pastoralräte u. a.) funktionieren. Allerdings haben wir auch erfahren, daß die Meinungsfreiheit von Theologen, Bischöfe eingeschlossen, wieder sehr begrenzt ist, daß es für viele Laientheologen keine entsprechenden Aufgaben gibt, daß manche vorkonziliaren ku-rialen Institutionen wie z. B. das Hl. Offizium zwar ihren Namen, nicht aber ihre Methoden verändert haben. Daher gehöre ich zu jenen, die sich nicht in absehbarer Zeit ein III. Vatikanum, sondern die Erhaltung und Weiterentwicklung der Errungenschaften des II. Vatikanums wünschen. Die Autorin ist Professorin für Zeitgeschichte an der Universität Wien.

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