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Kirche soll an die Grenze ihres Spielraums gehen

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Man sagt es am besten gleich am Anfang: Wer sich ein halbwegs repräsentatives Bild von der heutigen Verfassung der katholischen Kirche Ungarns verschaffen will, wird den Verdacht nicht los, daß manche seiner Gesprächspartner bisweilen doppelbödig argumentieren.

Da reden notorische Kritiker der Politik des Kardinals plötzlich nur noch von der „unbestreitbaren Einheit des Episkopats". Da verteidigen Kirchenobere Maßnahmen des Staates, die sie gern verhindert hätten, als die ihren. Da streuen KP-Offizielle der Kirche Blumen, die bei Marxisten eigentlich für ein Parteiausschließungsverfahren reichen müßten.

Es ist leicht, als Ausländer darüber den Stab zu brechen. Aber es wäre ungerecht. Nicht Personen ist hier Unauf-richtigkeit anzulasten, sondern einem System, das automatisch dazu zwingt.

Richtig ist, daß der Kirche nach dem Krieg in Ungarn schweres Unrecht widerfahren ist. Richtig ist, daß einige dem alten Feudalsystem verhaftet gebliebene Kirchenfürsten an diesem Geschehen ihren Anteil hatten.

Richtig ist, daß inzwischen manches anders, besser geworden ist. Daran wieder hat die verbindliche, aber zähe Art des Kardinalprimas Läszlö Lekai, Erz-bischof von Esztergom, ebenso wie die geschliffene Diplomatie von Staatssekretär Imre Miklös, Präsident des Staatlichen Kirchenamts, ihren Anteil.

Lekai, temperamentvoller Siebziger mit nahezu wienerischem Unterton im mühelos gesprochenen Deutsch, ist voller Charme. Er empfängt den Besuch aus Österreich mit der Versicherung, lieber als mit einem Virus würde er, der Gripperekonvaleszent, mit „vir-tus" (=Tugend) anstecken.

Zum Abschied überreicht er eine Kunstkarte aus dem Erzbischöflichen Museum, die darstellt, wie frivole Teufel den heiligen Antonius versuchen. „Journalisten werden auch versucht", lacht er...

Wie wahr! Ihnen wird zum Beispiel immer öfter zugeraunt, der ungarische Episkopat trete dem staatlichen Regime zu weich, zu wenig selbstbewußt und ohne Langzeitstrategie entgegen.

Der Vorwurf ist in dieser allgemeinen Form sicher ungerecht. Die Bischöfe wissen, was sie wollen, und sie haben in geduldigem Bemühen aus einer offen verfolgten eine weiterhin bedrängte, aber respektierte Kirche gemacht. Daß Ungarn nicht mit dem polnischen Maß gemessen werden darf, sollte angesichts total anderer historischer Verhältnisse unbestritten sein.

Immerhin haben das Abkommen von 1950 und ein Teilabkommen 1964 neue Möglichkeiten geschaffen. Freilich ist der damit gewonnene Freiraum der Kirche noch immer unwürdig eng. Hier einige der offenen Fragen:

• Der Religionsunterricht ist extrem bürokratisch geregelt: Ort, Zeit, Teilnehmerzahl, Ablauf usw. (Vgl. dazu den Miklös-Interviewtext.)

• Zugelassen sind nur vier Orden mit je zwei Niederlassungen und zwei Novizen jährlich sowie maximal je 100 Mitgliedern.

Dazu vertritt Miklös eine verblüffende These: Die Orden seien früher vor allem im sozial-karitativen Bereich tätig gewesen. Das Sozialsystem des Staates habe den Bedarf daran beseitigt. Außerdem stellten Staat wie Kirche das gleiche fest: Man kann kein Personal für Krankenpflege, Sozialdienste usw. finden

Frage: Wäre es nicht naheliegend, die Ordenseintritte freizugeben, dann sähe alle Welt, daß ohnehin niemand eintreten möchte? Miklös: „Wir könnten das tun. Ich bin aber nicht dafür. Man muß gewissen historischen Realitäten Rechnung tragen ...

• Theologen müssen zwei Jahre Militärdienst leisten, andere Hochschüler nur 12 Monate. Dafür, so wendet der Staatssekretär ein, müßten diese später Waffenübungen leisten, fertige Priester nicht. Aber auch darüber könne man reden.

• Die heikle Frage der Basisgemeinschaften hat der Staat jetzt ganz dem Episkopat überlassen - wohl wissend, daß auch dieser seine Probleme damit hat. Können Basisgemeinschaften, die mit den kirchlichen Gesetzen übereinstimmen, jederzeit gegründet werden?

Miklös: „Sie existieren ja." Bedeutet die Antwort ja? „Wenn es ihnen um Religion geht, ja. Viele Gutmeinende streben wirklich eine Erneuerung des religiösen Lebens an. Bei anderen verbergen sich hinter diesem Vorwand persönliche Interessen..."

Kommunistische Funktionäre sind unschlagbare Meister, wenn es gilt, aus einem Ja und Nein gleich auch wieder ein Wenn und Aber zu machen.

• Was wird aus den Absolventen der theologischen Fernkurse werden? Dürfen sie Religionsunterricht erteilen?

Miklös erinnert korrekterweise daran, daß ein akademischer Grad noch keinen Rechtsanspruch auf eine bestimmte Berufsstellung eröffne. Wird darüber zwischen Staat und Kirche verhandelt?

Basses Staunen. „Nein, warum?" Die Zulassung von Lehrern ist genau geregelt. Wer den Bestimmungen entspricht ...

Wie lauten die Bestimmungen? Bildungsmäßige, charakterliche, gesundheitliche Voraussetzungen müssen erfüllt werden. Das klingt ja sehr verheißungsvoll, denn viele Fernkursteilnehmer werden diese Voraussetzungen erfüllen

Miklös: „Deshalb hat die Kirche diese Kurse ja wohl eingerichtet. Aber es ist natürlich auch eine Frage, wo diese Menschen beruflich arbeiten ..."

Natürlich. Wahr bleibt, daß die Letztentscheidung in allen wichtigen Personalfragen der Kirche das Staatliche Kirchenamt hat. Wahr bleibt, daß viele Kirchen neu gebaut oder renoviert wurden, aber garade in neuen Fabriksund Wohngegenden viel zu wenige bestehen.

Wahr bleibt, daß es nur fünf Priesterseminare für zwölf Diözesen gibt und die katholische Presse noch immer klaren Einschränkungen hinsichtlich Papierzuteilung, Seitenumfang, Auflage und vor allem Inhalt unterworfen ist.

Alles das widerlegt aber nicht die Auffassung von Kardinal Lekai, daß über Taktik und Methodik des weiteren Vorgehens nicht Außenstehende, sondern Ungarns Bischöfe zu befinden haben.

Der Primas verdient Verständnis für seine Zielstrebigkeit, Zähigkeit und persönliche Lauterkeit. Er verdient Respekt und auch Ermunterung.

Eine Ermunterung kommt zweifellos von Staatssekretär Miklös selbst. Wenn dieser sagt, er könne „nicht beurteilen", ob die Kirche ihren Spielraum wirklich voll ausnütze, doch erschiene es ihm selbstverständlich, wenn sie es täte - dann darf man doch wohl annehmen, daß in nächster Zeit eifrig, entschieden und wohl auch unter einem gewissen Erfolgszwang weiterverhandelt wird.

Alle guten Wünsche der Katholiken Österreichs begleiten solche Verhandlungen.

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