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Kirche und Frieden

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Ist der Friede wirklich das höchste Gut? Im folgenden soll versucht werden, aus den kirchlichen Aussagen der letzten Jahrzehnte darauf eine Antwort zu ge- • ben.

Lange Zeit war die christliche Antwort darauf klar: Der Friede ist nicht das höchste Gut. Das höchste Gut ist vielmehr der gerechte Friede.

Daran hat die kirchliche Lehre seit Augustinus festgehalten; das bonum commune, nach Thomas von Aquin nichts anderes als die staatliche Friedens- und Freiheitsordnung, in der sich der einzelne entfalten kann, durfte nicht nur, sie mußte gegen innere und äußere Feinde verteidigt werden.

Diese Auffassung findet sich noch bei Pius XII. Sein „Nichts ist verloren mit dem Frieden, alles kann verloren sein durch den Krieg" richtete sich nicht gegen den legitimen Verteidigungskrieg, sondern gegen den Angriffskrieg. Pius XII. hielt den Verteidigungskrieg gegen eine „sehr schwere Ungerechtigkeit", die man nicht durch andere Mittel verhindern kann, sogar für „gefordert..., will man in den internationalen Beziehungen nicht brutaler Gewalt und Gewissenlosigkeit freie Hand lassen" (1953).

Hinsichtlich des totalen Kriegs schränkte Pius XII. ein, daß, wenn er sich der Kontrolle des Menschen völlig entzöge, „als unsittlich verworfen werden" müsse. Denn eine „Vernichtung allen Menschenlebens innerhalb des Aktionsbereiches ist aus keinem Grund erlaubt" (1954).

Uber diesen Befund ist die kirchliche Lehre seither nicht hinausgekommen. Die Enzyklika „Pacem in terris" Johannes' XXIII. (1963) stellt lediglich befundweise fest, daß die Völker aus Furcht voreinander rüsteten und daß es daher ohne Abbau dieser Furcht auch keine Abrüstung geben werde.

Das Zweite Vatikanische Konzil greift in der Pastoralkonstitution „Gaudium et spes" (1965) die traditionelle Lehre auf, daß der Friede ein Werk der Gerechtigkeit sei und daher nicht durch internationales Gleichgewicht allein oder bloßen Zwang gesichert werden könne.

Das Konzil lehrt nicht, daß zur Verwirklichung des Friedens eine pazifistische Haltung eingenommen werden muß, die auch die Notwehr gegen ungerechte Angriffe ausschließt: Wer in einem gerechten Krieg als Soldat kämpft, dient dem Frieden. Wehrdienstverweigerer aus Gewissensgründen müßten „zu einer anderen Form des Dienstes an der menschlichen Gemeinschaft bereit sein".

Der Krieg mit Massenvernichtungswaffen (vom Konzil „totaler Krieg" genannt), der in letzter Konsequenz zu einer fast völligen gegenseitigen Vernichtung der Gegner führen muß, wird vom Konzil freilich ausdrücklich verworfen.

Paul VI., der sich als besonderer Diener des Friedens betrachtete. hat den Völkern in seiner Rede vor der UNO-Generalversamm-lung 1964 beschwörend zugerufen: „Niemals Krieg, niemals mehr Krieg!" Die elf von ihm verfaßten Weltfriedensbotschaften variieren dieses Thema immer wieder.

Und doch muß dieser Papst in einem Atemzug anerkennen, daß der Krieg „durch die Furchtbarkeit der eigenen Waffen abgewehrt wird, über die er bei einem eventuellen tragischen Ausbruch unmittelbar verfügen könnte. Die Angst, die allen Völkern und insbesondere den stärksten unter ihnen gemeinsam ist, schränkt die Möglichkeit ein, daß der Krieg sich zu einem Weltbrand entfesselt" (1978).

Damit zeigt sich das eigentliche Dilemma in der Beurteilung staatlicher Verteidigungsbemühungen in christlicher Sicht. Daß die Frage nach der moralischen Erlaubtheit des gerechten Krieges in kirchlichen Dokumenten immer wieder bejaht wird, beantwortet eine andere Frage nicht: Ist diese Bejahung auch gültig für den Krieg, wie er heute bei einer Konfrontation der Supermächte wohl geführt würde? Die kirchlichen Dokumente geben darauf keine letzte Antwort.

Diese kann also nur in Anwendung der klassischen Prinzipien des gerechten Kriegs gefunden werden. Zu ihnen zählt auch das Erfordernis, daß der Schaden, der durch einen Krieg erzeugt wird, nicht größer sein darf als jener, der durch den Krieg abgewehrt werden soll.

Nicht jede Verteidigung bedeutet schon die Ausrottung der Menschheit. Wenn aber durch den Einsatz von Massenvernichtungswaffen auch nur für einen kleinen Teil der Menschheit ein Leben in Freiheit gerettet werden kann, so scheint ihr Einsatz jedenfalls erlaubt.

Wer uns glauben machen will, mit jeder Anstrengung zur Verteidigung schaufelten wir uns das eigene Grab, der fördert in Wahrheit nur die schleichende Aggression. Auch Paul VI. hat von der Bedrohung durch einen „taktischen Pazifismus" gesprochen, „der den zu vernichtenden Gegner einzuschläfern sucht" (1968).

Der Verfasser ist Professor für Völkerrecht an der Universität Linz.

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