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Kirche und Künstler

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„Warum kann die Kirche nicht weit mehr als bisher ihre Bereiche den Wissenschaftlern, Schriftstellern, Journalisten, Künstlern, auch den Organisatoren öffnen?“ fragte in der FURCHE vom 14. Februar der Schriftsteller Wolfgang Kraus. Was die Künstler anlangt, hat der Pfarrer der Wiener Stadtpfarre St. Michael eine Antwort parat:

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„Warum kann die Kirche nicht weit mehr als bisher ihre Bereiche den Wissenschaftlern, Schriftstellern, Journalisten, Künstlern, auch den Organisatoren öffnen?“ fragte in der FURCHE vom 14. Februar der Schriftsteller Wolfgang Kraus. Was die Künstler anlangt, hat der Pfarrer der Wiener Stadtpfarre St. Michael eine Antwort parat:

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Seit dem Tod von Msgr. Otto Mauer ist eine Lücke entstanden, die aufzeigt, daß Kirche und Künstler noch weniger im Kontakt und im Gespräch sind, als sie es schön früher waren. Dieses Auseinanderleben reicht weit zurück. Weil aber die Kirche die Kunst und die Künstler braucht, waren Künstler immer wieder angeregt und aufgefordert, im Aufgabenbereich der Kirche mitzuwirken.

Die Konstitution des göttlichen Geschöpfes Mensch verlangt, daß ihm der Ablauf von Schöpfung, Sünde, Erlösung und Vollendung in adäquater Vermittlung seiner sinnlichen und geistigen Aufnahme- und Verarbeitungsmöglichkeit geboten wird, um sich mit seiner freien Willenskraft dazu entscheiden zu können. Die Kunst ist verpflichtet, wenn auch nicht immer in rein religiöser Themenstellung, dem Menschen bei seiner Entscheidung behilflich zu sein. Allein der Anblick oder das Anhören eines echten Kunstwerkes hebt den Menschen über die alltägliche Gewöhnlichkeit hinaus und führt ihn so in die Nähe des schöpferischen Ursprungs allen Seins.

Im Mittelalter und in der Barockzeit war die Einheit des menschlichen Lebens und des religiösen Glaubens gewahrt. In der Moderne, in der diese Einheit verlorenging, ist dem Menschen freie Entscheidung gegeben, neben der religiösen Kunst auch reine Profankunst zu schaffen, zu fördern, anzuerkennen und sich ihrer zu freuen, wobei jede Kunst, die dem Anspruch echt schöpferischer Kunst entspricht, transzendentalen Kern oder Keim in sich birgt.

Jour fixe für Künstler

Dies weist über das Sichtbare hinaus und bestätigt, daß der menschliche Geist das Unschaubare, Unfaßbare vom klaren, einfachen Symbol aus oft bis zum menschlich ekstatischen Gestammel ergründen und bezeugen will. In unüberschaubar vielfältigster Weise hat das Geschöpf Mensch immer wieder versucht, in das Werk der Vollendung, der Weiterschöpfung bis zu neuem Himmel und neuer Erde, Einbück zu erlangen. In großartigen Denkmälern menschlichen Geistes steht dieser Versuch vor uns.

Die Vertreter der Kirche haben dabei immer eine führende Rolle gespielt. Sie haben der Menschheit unschätzbare Dienste geleistet, manchmal auch im Unverstand Mensch und Kunstwerk schwer geschädigt. Die heutige Situation ist bei weitem von niemandem noch gemeistert. Daß die Kirche weiter nicht nur Wahrerin, sondern Förderin und Anregerin von Kunst sein muß, entspricht ihrem Auftrag, das Reich Gottes den Menschen zu verkünden- ein Reich, das nicht von dieser Welt ist, aber hier unter den Menschen seinen Anfang nimmt und hinüberführt in die Vollendung Gottes.

Ohne Kunst und daher ohne Künstler wird sie diesen Auftrag nicht erfüllen können. Je mehr sie auf dieses göttliche Mittel „Kunst“ zurückgreift, desto mehr Hilfe wird sie für ihren Auftrag von dorther erhalten.

In der Moderne ist die Durch-schaubarkeit von wahrer Kunst nach Inhalt, Form, Ausdruck und Aussage für den Vertreter der Kirche besonders schwierig geworden, weil er durch viele andere Aufgaben überbeschäftigt ist und in der Kunst oft nur ein nebensächliches Anhängsel sieht. Die staatliche belastende und denk-malpflegerische Aufgabe der Kirche wird durch die Absenz in der Erhaltung kirchlicher Gebäude oft zur unerträglichen Bürde. Um so mehr müßte eine verständige Kirche sich den Künstler freundlich stimmen, der oft gern hilft, wo hohe Werte geistigen Menschentums zu erhalten oder neu zu schöpfen sind.

Ein Versuch, Kirche und Künstler und daher auch Kunst und Kirche einander näherzubringen, ist die eine Komponente des „Jour fixe für Künstler“ in St. Michael. Die andere ist die rein menschliche. Im Jänner 1978 ist es in St. Michael zwischen Kardinal König und einigen Künstlern zu einem Gespräch gekommen mit dem Ergebnis, daß er mich beauftragte, solche Kontakte herzustellen.

Jede Woche finden sich im kleinen Rahmen meiner Wohnung Künstler der verschiedenen Richtungen zusammen, um einander und ihre Arbeit kennenzulernen, um in entspannter Atmosphäre durch menschliche Kontakte zueinander zu finden.

Es werden keine fixierten Ge-

sprächsthemen gestellt, manchmal zeigt ein Künstler einige Blätter seiner Arbeit, ein andermal spielt jemand ein Instrument, ohne besonders vorbereitet zu sein. Ein andermal steht ein Künstler im Mittelpunkt des Zuhörens und Fragens.

Als Pfarrer und interessiert an Kunst fungiere ich als Hausherr, stelle meine Wohnung zur Verfügung, besorge Getränke und Brötchen. Jeder, der kommt, fühlt sich wie zu Hause. Hilfen im Bereich der menschlichen und seelischen Probleme ergeben sich von selbst. Wichtig erscheint, daß die Künstler sich selber als Menschen erleben, frei vom Zwang des Auftretens, des Erfolges, der Konkurrenz.

Nichts drängt sich auf, weil dieses Treffen im Haus des Pfarrers von St. Michael geschieht. Jeder weiß es zwar, fühlt sich aber keineswegs gedrängt, besonders katholisch oder auch nur religiös zu tun. Es sind die Künstler auch nie nach ihrer Zugehörigkeit zu einer der religiösen Gemeinschaften gefragt worden, und wenn eine andersgläubige Haltung herauskam, wurde sie genauso akzeptiert wie die eigene.

Der „Jour fixe“ soll keine religiöse Gruppenbildung von Künstlern werden, kein abgegrenzter Zirkel von nur bekennenden Katholiken, die bei ihren Zusammenkünften ihren Glauben bestärken und vertiefen wollen. Die Konfrontation mit dem Religiösen, mit der Kirche, wird sich immer von selber ergeben, wo echte Kunst aufscheint.

Kulturzentrum St. Michael

Es ist auch der Wille des Kardinals sowie des Erzbischofkoadjutors Ja-chym, St. Michael zu einem kulturellen Zentrum für Künstler in der Inneren Stadt einzurichten, wo schon 1288 von einer „Bruderschaft des Hl. Nikolaus für Spielleute“, auch Tru-metter-Zeche genannt, die Rede war. Neben der traditionellen Kirchenmusik in St. Michael werden immer wieder Chöre und Musikensembles eingeladen. Eine besondere Einrichtung sind die Kapitelsaalkonzerte. In würdiger Ausstattung wird jungen Künstlern regelmäßig Gelegenheit gegeben, neben schon bekannten Vertretern der Kunst ihre Schöpfungen zu zeigen.

Wiegen augenblicklich die Musik und die Sprechkunst vor, so werden sicher mit der Zeit die anderen Zweige schöpferischer Leistung nachfolgen. Der intime Rahmen, das freie Gespräch in der Pause nach der Darbietung verhilft nicht nur zu schönen und wertvollen Stunden menschlichen Erlebnisses, sondern bringt die Menschen näher zueinander.

Neben dem Kapitelsaal stehen auch der große Barocksaal, der Klosterhof sowie die weiten Klostergänge für künstlerische Aktionen zur Verfügung. Außerdem sind Bemühungen im Gange, Kellergewölbe und andere Räume für dieses Kulturzentrum zu adaptieren.

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