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Kirche und Menschenrechte

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Alfons Auer, Jahrgang 1915, Ordinarius für theologische Ethik in Tübingen, gilt als einer der führenden deutschen Moraltheologen der Gegenwart. Bei den Salzburger Hochschulwochen hielt er heuer eine dreistündige Vorlesung zum Thema „Die Bedeutung der christlichen Botschaft für das Verständnis und die Durchsetzung der Grundrechte“. Wir zitieren im folgenden aus dem dritten Teil der Vorlesung, die als Paperback, von Ansgar Paus herausgegeben, in der Verlagsgemeinschaft Butzon & Bercker, KevelarjStyria, erscheinen wird.

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Alfons Auer, Jahrgang 1915, Ordinarius für theologische Ethik in Tübingen, gilt als einer der führenden deutschen Moraltheologen der Gegenwart. Bei den Salzburger Hochschulwochen hielt er heuer eine dreistündige Vorlesung zum Thema „Die Bedeutung der christlichen Botschaft für das Verständnis und die Durchsetzung der Grundrechte“. Wir zitieren im folgenden aus dem dritten Teil der Vorlesung, die als Paperback, von Ansgar Paus herausgegeben, in der Verlagsgemeinschaft Butzon & Bercker, KevelarjStyria, erscheinen wird.

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Kirchliche Äußerungen zum Thema Grundwerte und Grundrechte beinhalten fast durchgehend an die Adressen von Staat und Gesellschaft gerichtete Appelle und Forderungen. Diese finden freilich nur insoweit Glaubwürdigkeit, als innerhalb der kirchlichen Gemeinschaft selbst mit diesen Forderungen ernst gemacht wird. Auch hier entstehen Spannungen und Konflikte, auch hier gibt es Intoleranz, Mißachtung der Freiheit und Mißbrauch von Macht. Die Grundrechte in der Kirche sind bis in die Gegenwart herein so gut wie überhaupt nicht thematisiert worden - jedenfalls nicht in amtlichen Verlautbarungen.

Nun hatte die Kirche mit der Entwicklung der Menschenrechte ihre besonderen Schwierigkeiten. Die Aufklärung, die zu dieser Entwicklung entscheidende Anstöße gegeben hat, brachte allerhand kirchenfremde und kirchenfeindliche Ideen unter die Menschen. Die Kirche war überdies so stark mit dem Feudalismus verbunden, daß die Französische Revolution sich verständlicherweise auch gegen sie richtete. Daß sich im aufklärerischen Humanismus auch christliche Einflüsse geschichtlich durchsetzten, konnte von der damaligen Kirche offensichtlich noch nicht realisiert werden.

Die kirchliche Reserviertheit hielt sich bis in unser Jahrhundert. Noch im Codex Juris Canonici findet sich keine ausdrückliche Erklärung der Menschenrechte und der Grundrechte des Christen. Dieses hochgeachtete Gesetzeswerk war freilich eher eine Sammlung früherer Rechte als eine neue zeitgemäße Systematisierung. Außerdem bezog es sich weithin nur auf den Klerus.

Der Durchbruch kam erst mit dem II. Vatikanum. Das erste umfassende Dokument, in dem die theologischen Grundlagen der Menschenrechte und die pastoralen Möglichkeiten ihrer Durchsetzung (bis hin zu konkreten Handlungsvorschlägen) ausführlich dargestellt sind, wurde von der päpstlichen Kommission „Justitia et Pax“ unter dem Titel „Die Kirche und die Menschenrechte“ 1974 veröffentlicht. Hier wird der Versuch gemacht, die „Vorsicht und Ablehnung, ja manchmal sogar offene Feindschaft und Verurteilung“, die in den kirchlichen Verlautbarungen noch des letzten Jahrhunderts zutage getreten sind, einsichtig zu machen und die Wende aufzuzeigen, die inzwischen eingetreten ist. Der Leser nimmt mit Erstaunen zur Kenntnis, wie oft und wie eindringlich in der Tat das Thema Menschenrechte bereits seit Leo XIII. angesprochen worden ist.

Hier wird auch offene kirchliche Selbstkritik geübt. Es habe Zeiten gegeben, in denen die Kirche die Menschenrechte nicht mit genügender Klarheit und Energie verteidigt hat; es habe nur zu oft Zögern, Einsprüche, Vorbehalte und sogar „heftige Reaktionen gegen jede Erklärung der Menschenrechte im Geiste des Liberalismus und des Laizismus“ gegeben; in manchen Periöden' sei „die geschichtliche Entwicklung zur Anerkennung der Menschenrechte von bürgerlichen und kirchlichen Stellen durch Argumente und institutionelle Strukturen verdeckt“ worden (Nr. 17 und 18).

Hier wird auch klar ausgesprochen, daß die Kirche mit der Gewissenserforschung bei sich selbst anfangen muß, daß sie prüfen muß, „wie und in welchem Umfang die Grundrechte innerhalb ihrer eigenen Organisation geachtet und angewandt werden“ und daß sie „zu ununterbrochener Reinigung ihres eigenen Lebens, ihrer Gesetzgebung, ihrer Institutionen und ihrer Handlungsweisen verpflichtet“ ist (Nr. 62).

Das Arbeitspapier der päpstlichen Kommission „Justitia et Pax“ hat offensichtlich einen gewissen Einfluß auf den Entwurf einer „Lex ecclesiae fundamentalis“, eines Grundgesetzes der Kirche ausgeübt (3). In seinem zweiten Artikel handeln 16 Canones „Über Grundpflichten und Grundrechte der Christen“.

Es hat zwar den Anschein, als finde hier „in der Kirche wieder einmal ein Nachziehverfahren“ statt. Immerhin führt der Entwurf eine Reihe von Grundrechten aller Christen auf: die Rechte etwa, den Hirten der Kirche ihre Meinung mitzuteilen über das, was das Wohl der Kirche betrifft; die geistlichen Güter der Kirche, vor allem das Wort Gottes und die Sakramente, zu empfangen; den Gottesdienst zu feiern und eine eigene Form geistlichen Lebens zu pflegen; religiöse Gemeinschaften frei zu gründen und zu leiten; in einer christlichen Erziehung zu menschlicher und christlicher Reife gebildet zu werden; in angemessener Freiheit (iusta libertate) theologischen Studien zu obliegen und die dabei gewonnenen Erkenntnisse in kluger Weise mitzuteilen („im schuldigen Gehorsam gegen das Lehramt der Kirche“); ihren Lebensstand frei von jedem Zwang zu wählen; vor dem zuständigen kirchlichen Forum auf dem gerichtlichen und auf dem Verwaltungsweg ihre Rechte zu verteidigen u. a. (Can. 9-24).

Freilich ist der Entwurf einer Lex ecclesiae fundamentalis auf vielfache Kritik gestoßen. (Sie bezieht sich allerdings noch auf die dritte Bearbeitung, gut aber großteils auch für die letzte Fassung aus dem Jahr 1976.) Vor allem wurde darauf hingewiesen, daß die Grundrechte der einzelnen Christen zu vage und letztlich ineffizient formuliert sind. Im Ganzen gesehen stehe die Sorge um den möglichen Mißbrauch im Vordergrund; darum werde vielfach gleich auf noch zu erlassende Gesetze hingewiesen, durch die die Rechte begrenzt werden. Auch seien keine Instanzen angegeben, vor denen man die Rechte gegenüber Verletzungen geltend machen könne; damit aber werde die Aufführung von Rechten „einfach illusorisch“.

Zwei Beispiele seien zur Verdeutlichung herausgegriffen. Can. 19 sichert allen Christgläubigen das Recht zu, „ungehindert von jedem Zwang ihren Lebensstand (ad normam iuris) zu wählen“/ Dies ist gewiß zu begrüßen, aber konsequent wäre eine solche Zusicherung nur, wenn sie das Recht einschlösse, daß jemand seine Entscheidung für einen bestimmten Lebensstand auch revidieren kann.

Can. 19 sieht eine solche Möglichkeit nicht vor. Tatsächlich ist sie für Priester in den Laisierungsverfahren von 1964 und 1971 gegeben. Allerdings stoßen wir hier doch sofort wieder auf restriktive Sonderbestimmungen für lai-sierte Priester.

Nach dem Verfahren von 1971 darf sich „ein laisierter und von seinen Weihepflichten entbundener Priester an sich nicht dort aufhalten, wo sein priesterlicher Status bekannt ist. Dies gilt um so mehr von einem bereits verheirateten Priester“.

Man kann sich die Gründe vorstellen, die hinter einer solchen Bestimmung stehen. Aber man muß die Frage stellen, ob einerseits die Rechte des laisierten Priesters damit gewahrt sind und anderseits der moralischen Reife christlicher Gemeinden der schuldige Respekt erwiesen bzw. ihrer moralischen Unreife mit einem angemessenen Mittel begegnet wird.

Das zweite Beispiel: Can. 13 proklamiert das Recht der Christgläubigen, „aus den geistlichen Gütern der Kirche vor allem die Hilfe des Wortes Gottes und der Sakramente von (den) geweihten Hirten zu empfangen“. Da es sich hier offensichtlich um ein kirchliches Grundrecht handelt,- sollte seine Gewährleistung auch unter Zurücksetzung anderer positiver Rechtsnormen ermöglicht werden.

Das Dekret des H. Vatikanums über die Hirtenaufgabe der Bischöfe (Art. 30, 2) sieht in der Feier der Eucharistie „Mitte und Höhepunkt des ganzen Lebens der christlichen Gemeinde“. Kann man es auf die Dauer hinnehmen, daß Hunderte von Pfarreien einer Diözese unbesetzt bleiben und die Gemeinden in sogenannten „priesterlosen Gottesdiensten“ mit sonntäglichen Kommunionsfeiern buchstäblich „abgespeist“ werden?

W. Kaspar hat kürzlich die Frage gestellt, deren Beantwortung ohne Gefährdung der christlichen Substanz unserer Gemeinden nicht auf die lange Bank geschoben werden darf: „Wenn es stimmt, daß wir genügend Laien haben, die menschlich und christlich und d. h. auch theologisch befähigt sind, de facto den Dienst eines Pfarrers zu versehen ..., dann frage ich mich, weshalb man solche Laien, die sich bewährt haben, die also viri probati sind, nicht auch de jure zu Pfarrern macht, d. h. warum man ihnen nicht die Hände auflegt und sie zu Priestern weiht. Das schiene mir dann die einzig konsequente Lösung zu sein.“ Man kann dem nur mit Nachdruck zustimmen.

Die Juristen diskutieren die Frage, inwieweit die Kirche an die vom Staat garantierten Grundrechte gebunden ist und inwieweit der Staat für die in-nerkirchliche Wahrung der Kirche einstehen muß. Natürlich muß der Staat darüber wachen, daß für kirchliche Bedienstete der soziale Mindeststand gewährleistet oder daß ausscheidenden Ordensleuten eine angemessene Nachversicherung gewährt wird.

Der Staat sollte wohl auch darüber wachen, daß weibliche Bedienstete in der Kirche die gleiche Bezahlung bzw. Besoldung erhalten wie männliche. Aber er wird die Kirche nicht bedrängen können, Frauen in gleicher Weise zu geistlichen Ämtern zuzulassen wie Männer...

Freilich ist damit nur das Bestehen einer staatlichen Schutzpflicht hinsichtlich der Wahrung des Gleichheitsrechts in der Kirche ausgeschlossen. Auf einem ganz anderen Blatt steht die Frage nach der sachlichen Richtigkeit der „religiösen Anschauungen“, mit denen die Kirche ihre Weigerung begründet, bestimmte Ämter an Frauen zu verleihen. Darüber wird sie sicherlich noch gründlicher nachdenken müssen, als sie es bis jetzt getan hat

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