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Kirche und Politik

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Die Kirche hat es schwer. Man macht ihr, teils zu Recht, teils zu Unrecht, immer wieder den Vorwurf, sie habe sich in den vergangenen Jahrhunderten zu intensiv am politischen Geschehen beteiligt. Die jüngste Vergangenheit zeigt, daß die Kirche eine durchaus positive Entwicklung durchgemacht hat und sich heute weitgehend aus tages- und weltpolitischem Gezänk heraushält.

Dazu ist zu sagen, daß der Christ auf keinen Fall bloß passiver Zuseher auf der politischen Bühne bleiben darf, ganz im Gegenteil - aber sein Handeln sollte Besonders geartet sein, indem er Jesu Worte, sein Reich sei nicht von dieser Welt, stets im Auge behält.

Vor einigen Wochen kam ich mit einer Kollegin und „Amnesty"-Mitarbeiterin über Papst Johannes Paul II. ins Gespräch, und siehe da, dem Oberhaupt der Kirche wirft man zu geringes politisches Engagement, speziell in Lateinamerika, vor!

Mit Eucharistie, Ansprachen und Gebet sei dort nicht viel anzufangen, die Kirche müsse sich vehement auf die Seite der Unterdrückten stellen und an der sozialen Revolution mitarbeiten, bekam ich zu hören. Welche Antwort ist zu geben?

Zunächst liegt hier die nun schon übliche und von vielen Seiten gewollte Vermengung von Christentum und Sozialismus vor. Zweifellos gibt es hin und wieder Parallelen zwischen der Lehre Christi und dem demokratischen Sozialismus unserer Tage, doch - und das vergißt man nur allzu gerne - es besteht ein fundamentaler Unterschied:

Geht es dem Sozialismus um rein gesellschaftspolitische Ziele, um die utopische Schaffung einer idealen Gesellschaft auf Erden und um politischen Einfluß, so muß die Kirche sich um die Ganzheit des Menschen, also um seinen Leib und auch seine Seele sorgen, denn dazu wurde sie von Jesus gestiftet - als Bollwerk gegen das Böse. Wer Christentum richtig versteht, weiß allerdings, daß das hier angedeutete transzendente Ziel untrennbar mit einem Leben der Nächstenliebe verknotet ist.

Im Kreuz Jesu ist das Wesen des Christentums sinnbildhaft zu erkennen. Der aufwärts strebende vertikale Balken und das horizontale, im Irdischen gleichsam die Arme öffnende Querholz zeigen dem Christen seinen Weg: ein auf die zukünftige Vereinigung mit Jesus Christus ausgerichtetes Leben in karitativer Liebe.

Aus einem so verstandenen Christ-Sein ergibt sich konsequent, daß Christentum keine Ideologie ist, diese Bezeichnung bleibt dem Sozialismus vorbehalten -, sondern Lebensgestaltung, die nicht von einer „Idee" ausgeht (Christus ist keine Idee), sondern von der Liebe.

Ein ideologisch ausgerichtetes Leben ist immer das Ergebnis taktischer Überlegungen, gesellschaftspolitischer Zielsetzungen, ein Leben in Christus aber ist eine Form menschlicher Existenz, deren Kern im Geben und Helfen ohne jegliche taktische Überlegung liegt. Somit ist Christ-Sein ein nie abgeschlossener Prozeß, ein Ringen um unre-flektierte, spontane Nächstenliebe.

Um sie muß sich jeder bemühen, der für sich in Anspruch nimmt, in der Nachfolge Jesu zu leben; und was für den einzelnen Christen gilt, sollte auch für die Kirche gelten, womit die Antwort auf die eingangs angerissene Problematik angedeutet ist.

Die Kirche darf sich unter keinen Umständen in den Teufelskreis politischer Machtkämpfe verwickeln lassen, um nicht Gefahr zu laufen, sich von Jesus Christus zu entfernen und auf die Ebene von rationaler Ideologie und Taktik herabzusinken.

Wenn es dem einzelnen Christen und der Kirche auch nur bruchstückhaft gelingt, Jesu Auftrag in dem oben ausgeführten Sinn zu verwirklichen, dann, und nur dann, wird man uns als Sauerteig der Welt, als Kinder des Lichtes erkennen und uns sehr wohl von berechnenden Taktikern und blutigen Revolutionären unterscheiden können.

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