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Kirche und Umverteilung

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Die schon im Abklingen befindliche „Umverteilungs"-Diskussi-on hat überraschend einen wiederbelebenden Aspekt erhalten. Ursprünglich wardiese Diskussion vom sozialistischen Klubobmann Heinz Fischer in Gang gesetzt, dann jedoch von seiner eigenen Partei wieder eingedämmt worden. VÖEST-Kaplan Innerlohinger hat öl ins Feuer gegossen, als er recht konkret eine Spanne zwischen Tiefst- und Höchstlohn im Verhältnis von etwa 1:10 als durchaus „genügend" bezeichnete.

Für beide Herren gilt allerdings die Feststellung des Bundeskanzlers, daß sie unter falscher Flagge

segeln: Eine Umverteilung von reich zu arm bzw. weniger Bedürftigen zu mehr Bedürftigen findet im modernen Sozialstaat ständig statt.

Die aktuelle Diskussion unter dem irreführenden Titel „Umverteilung" hat eindeutig damit nichts zu tun, sondern entzündete sich an der Frage, ob man in der gegenwärtigen Wirtschaftssituation nicht den weniger Verdienenden als Teuerungsabgeltung mehr geben solle als den Spitzenverdienern. Damit aber ist die Frage der sogenannten „Lohngerechtigkeit" angeschnitten, die von Anfang an die Soziallehre der Kirche stark bewegte.

Bereits in der Enzyklika „Qua-dragesimo anno" (66 ff.) vom Mai 1931 führte Pius XI. aus: „Die gerechte Bemessung des Lohnes kann nicht nach einem, sondern nur nach einer Mehrzahl von Gesichtspunkten geschehen. Das hat bereits Leo XIII. (gemeint ist „Rerum novarum" vom 15. Mai 1891) treffend hervorgehoben ... Damit hat er schon vorweg die Leichtfertigkeit derer gerichtet, die da glauben, mit einem einzigen Maßstabe - obendrein mit einem ganz verfehlten! — auszukommen, um diese überaus ernst zu nehmende Angelegenheit spielend zu erledigen."

Noch viel zeitnäher wurde das Thema von Johannes XXIII. in „Mater et magistra" am 15. Mai 1961 behandelt: „Schwerer Kummer bedrückt Uns angesichts der traurigen Tatsache, daß in vielen Ländern und ganzen Erdteilen zahllosen Arbeitern ein Lohn gezahlt wird, der ihnen selbst und ihren Familien wirklich menschenunwürdige Lebensbedingungen aufzwingt... In einigen von diesen Ländern steht jedoch zu diesem Zustand äußersten Elends der Mehrzahl der Uberfluß und hemmungslose Luxus weniger Reicher in schreiendem und beleidigendem Gegensatz ..."

Laut Johannes XXIII. ist bei der Festsetzung des Lohnes „an

erster Stelle die produktive Leistung, sodann die wirtschaftliche Lage des Beschäftigung gebenden Unternehmens, weiter die Erfordernisse des volkswirtschaftlichen Gemeinwohls, besonders im Hinblick auf die Vollbeschäftigung, endlich des weltwirtschaftlichen Gemeinwohls, das heißt des Ineinandergreifens einer Vielzähl in ihrer Struktur und in ihrer Größe sehr verschieden gearteter Volkswirtschaften" (MM 68 ff.) zu berücksichtigen.

Diese Zitate aus älteren Dokumenten verdienen schon deswegen Beachtung, weil sie eindringlich zeigen, daß Papst Johannes Paul II. mit seiner zunächst als „ideologischer Sprengstoff" bezeichneten, jetzt aber anscheinend schon wieder in Vergessenheit geratenden Enzyklika „La-borem exercens" vom 14. Septelfl-ber 1981 die kirchliche Soziallehre nur konsequent weiterführte, als er den Vorrang des Menschen vor den Sachen hervorhob:

„Somit wird gerade die gerechte Bezahlung jeweils zum Prüfstein für die Gerechtigkeit des gesamten sozio-ökonomischen Systems und für sein rechtes Funktionieren. Es ist dies nicht der einzige Maßstab hierfür, aber ein besonders wichtiger und in gewissem Sinne der entscheidende."

Freilich hat derselbe Papst bei einem internationalen Symposion („Von Rerum novarum zu La-borem exercens: In Richtung auf das Jahr 2000") ausdrücklich betont: „Die Kirche hat keine direkte Kompetenz, um technische Lösungen wirtschaftlicher und politischer Art vorzuschlagen; sie fordert jedoch dazu auf, sämtliche Systeme ständig vom Gesichtspunkt der Würde der menschlichen Person aus zu überprüfen."

Gegen dieses Selbstverständnis der katholischen Soziallehre kann man nun einwenden (und es wurde und wird dies ja oft genug hämisch getan), die Kirche mache es sich einfach, indem sie einleuchtende Prinzipien abstrakt verkünde, vor konkreten Lösungen aber kneife. Nur: auch kirchenferne Überlegungen haben bis heute zu keinen besseren Ergebnissen geführt.

Grundsätzlich stellt die Soziallehre der Kirche an politische und gesellschaftliche Systeme nicht nur die Frage der Gerechtigkeit, sondern insbesondere auch die ihrer Glaubwürdigkeit. Und von diesem Standpunkt aus muß sich die derzeitige Regierungspartei unseres Landes wohl den Vorwurf gefallen lassen, daß sie — die unter dem Banner sozialer Gerechtigkeit und größerer Gleichheit an die Macht gekommen ist — noch nie einem ihrer Aufsichtsratspräsidenten, Vorstandsdirektoren, Generalintendanten usw. eine geringere Entlohnung zuerkannt hat als deren Vorgängern aus dem „schwarzen" Lager!

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