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Kirche - unzerstörbar

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Eine grundlegende Ubereinstimmung (in der innerkirchlichen Unfehlbarkeitsdebatte) zeigte sich in drei wichtigen Punkten:

1. Das irrende Lehramt ist ein Faktum: In der katholischen Theologie gibt man heute mit einer früher ungewohnten Offenheit zu, daß auch die Organe „unfehlbarer" Lehrentscheidungen zumindest grundsätzlich (wenn auch vielleicht nicht in bestimmten definierten Situationen) irren können und vielfach geirrt haben.

„Einmal kann keiner, der objektiv die Geschichte der Kirche betrachtet, leugnen, daß sie als ganze und daß

auch jene Instanzen in ihr, die nach ihrem Selbstverständnis *ls Organe unfehlbarer Lehrentscheidungen gelten, nämlich der Papst und die ökumenischen Konzilien, sowie der Gesamtepiskopat in der tagtäglichen Ausübung der Glaubensverkündigung, soweit sie einheitlich geschieht, im Laufe der Geschichte oft genug Irrtümer verkündigt haben" (O. Semmelroth).

2. Gegenüber Begriff und Praxis der Unfehlbarkeit ist Skepsis angebracht: Selbst konservative Theologen halten den Begriff für mißverständlich, ja für heute weithin unver-

ständlich. Unübersehbar ist: Das Wort „Unfehlbar" ist seit der jüngsten Debatte weithin aus dem theologischen und auch dem offiziell-kirchlichen Sprachgebrauch verschwunden. Unfehlbare Definitionen wünscht heute niemand mehr, weder zur Kultivierung der Frömmigkeit noch zur Klärung der gegenwärtigen komplexen Probleme. Die Unfehlbarkeit des Papstes würde heute sicher nicht mehr definiert, wenn sie nicht schon definiert wäre!...

3. Die Kirche bleibt in der Wahrheit trotz aller Irrtümer erhalten: Auch für die konservativen Verteidiger von unfehlbaren Aussagen ist die Unzerstörbarkeit (Indefektibilität) der Kirche in der Wahrheit grundlegender als die Unfehlbarkeit (Infalli-bilität) bestimmter Aussagen. Und nachdem Irrtümer des kirchlichen Lehramtes im allgemeinen nicht bestreitbar sind, stimmt man der positiven These wenigstens grundsätzlich und allgemein zu: Die Kirche wird in der Wahrheit des Evangeliums erhalten - trotz aller Irrtümer...

In den neuesten exegetischen Untersuchungen haben auch Katholiken die echte, aber fehlbare Autorität des Petrus und die Problematik einer Nachfolge in einem „Petrusdienst" neu herausgearbeitet. So wichtig die Symbolfigur Petri auch für die Kirche der Folgezeit blieb, so wenig Anhalt gibt es im Neuen Testament und in den ersten drei Jahrhunderten für eine Unfehlbarkeit Petri (die biblischen Zeugnisse verbinden in charakteristischer Weise immer positive und negative Züge), so wenig erst recht für eine Unfehlbarkeit der römischen Bischöfe...

Neueste historische Untersuchungen - vielleicht die größte Überraschung in der Debatte - haben die unorthodoxen Ursprünge der römischen Unfehlbarkeitslehre am Ende des 13. Jahrhunderts aufgedeckt. Die Forschung verdankt diese Entdek-kung dem amerikanischen Historiker Brian Tierney: Es gibt keine langsame „Entwicklung" und „Entfaltung" der Lehre von der päpstlichen Unfehlbarkeit, sondern eine eher plötzliche Kreation am Ende des 13. Jahrhunderts...

Der Papst kann auch ohne unfehlbare Lehrdefinition „funktionieren", ja, er kann unter den heutigen Bedingungen von Kirche und Gesellschaft ohne unfehlbare Lehrdefinitionen besser seinen Dienst erfüllen. Wer also die päpstliche Satzunfehlbarkeit in Frage stellt, stellt nicht das Papsttum an sich in Frage. Dies muß gegen ständige Verwechslungen, Verdrehungen und Verdächtigungen mit allem Nachdruck gesagt werden.

Vieles am Petrusdienst ist fraglich geworden, vor allem die mittelalterlichen und neuzeitlich-absolutistischen Formen, die sich bis in unsere Tage hinein gehalten haben. Ein Petrusdienst hat nur dann Zukunft, wenn er vom Petrussymbol des Neuen Testaments her verstanden wird.

Diese exegetische und historische Begründung einer historischen Sukzession des römischen Bischofs ist fraglich geworden. Aber ein Petrusdienst hat sachlich seinen Sinn behalten, wenn er in funktional-praktischer Sukzession ein Dienst an oer Gesamtkirche ist: ein Dienstprimat im vollen biblischen Sinne.

Aus dem Geleitwort zu A. B. Hasler „Wie der Papst unfehlbar wurde", Piper, 1979

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