6882397-1979_14_10.jpg
Digital In Arbeit

Kirchlich Gesinnte -die seltene Ausnahme

Werbung
Werbung
Werbung

Vom Institut für Ethik und Sozialwissenschaften an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien wurde gemeinsam mit der Katholischen Arbeitnehmerbewegung eine Erhebung zur religiösen Situation besonders in der Arbeiterschaft in vier ausgewählten Pfarren der Erzdiözese Wien gemacht. Als Konsulent wirkte das Institut für Kirchliche Sozialforschung mit. Im November konnten 140 Interviews bei Eltern(teilen) von Kindern, die im vergangenen Schuljahr zur Erstkommunion gegangen waren, ausgewertet werden. Dem bescheidenen Umfang und Rücklauf der Erhebung nach können zwar nur mit Vorbehalt Schlüsse gezogen werden. Doch scheinen einige Beobachtungen nicht uninteressant.

Der Entfremdungsprozeß von der Kirche in der Bevölkerung, die der einst als „Arbeiterschaft“ umschriebenen Sozialschichte heute entsprechen dürfte, ist signifikant stärker als in anderen großen Sozialschichten. Man kann sagen, daß etwa ein Drittel von ihnen zumindest einmal daran gedacht hat, sein organisiertes Verhältnis zur Kirche zu beenden, wobei gar nicht in allen Fällen die Kirchensteuer im Vordergrund stand. Es bestand in der Mehrheit der Interviewten nur ein geringes Identitätsverhältnis zur Kirche. Voll kirchlich Gesinnte waren die seltene Ausnahme. Dabei waren die Frauen meist religiös noch stärker aufgeschlossen als die Männer.

Im sittlichen Bereich zeigt sich bei Ehescheidung und Erlaubtheit der Abtreibung ein von der kirchlichen Norm abweichender Zug zur Laxheit. So' war die Mehrheit im allgemeinen mit der derzeitigen Regelung der Abtreibungsfrage im Strafrecht einverstanden.

Die volle Glaubensbedeutung der Erstkommunion für ihr Kind war den Eltern selten bewußt. Es überwog die Einstellung: den Kindern soll die gebotene Möglichkeit nicht genommen werden, man will das Kind nicht von diesem Fest ausschließen, es gehört zu einer anständigen Erziehung. Es wurde auch häufig das Motiv bejaht, daß das Kind für die Schulzeit den Segen Gottes bekomme. Die Eltern, die fast nie zum Gottesdienst kommen, und diejenigen, die nur gelegentlich gehen, stellen zwei Drittel der Interviewten.

Dabei war die Bekanntheit des Pfarrers oder Kaplans eine relativ gute, was besonders auf die Kontakte um die Erstkommunion herum zurückgeht. Nur 6 Prozent der Mütter, aber immerhin 21 Prozent der Väter haben mit dem Pfarrgeistlichen noch nicht gesprochen. Die Hausbesuche sind nach den Pfarren sehr verschieden erfolgt. In einer Pfarre wußten nur 9 Prozent von einem Hausbesuch eines Priesters aus der Pfarre zu berichten, dafür in einem anderen Fall gleich 83 Prozent. Im Schnitt waren es 37 Prozent, die besucht worden waren. Den Hausbesuch erwarten würden sich 41 Prozent. Also liegt vermutlich vor allem bei den Nichtbesuchten keine schon gegebene Erwartungshaltung zu einem Kontakt mit der Kirche zu Hause vor. Man kann auch erkennen, daß in der Vorstellung des „Volkes“ kein Gegensatz besteht zwischen einem Kennen des Pfarrers und der Nichtteilnahme an Gottesdiensten.

Die festen Glaubensüberzeugungen des „Volkes“ richten sich nur zu einem Bruchteil nach den kirchlichen Normenvorstellungen. Eine Betroffenheit durch religiös-kirchliche Fragen hegt bei den meisten kaum vor. Daher ist auch ein erstes Ansprechen der Leute nicht einig, um “sie kirchlich wieder zu aktivieren und in den Kreis der praktizierenden Pfarrgemeinde zurückzuführen. Dazu ist die Distanz schon zu groß.

Die religiös aktive Pfarrbevölkerung scheint vielmehr eine „Exodus-Gemeinde“ aus dem gegebenen

Wohnmilieu heraus zu sein, also nicht mehr repräsentativ für diese. Das erschwert ihre Möglichkeit, als Sauerteig zu wirken, und führt sie mit ihrem religiösen Verhalten als Gemeinschaft in eine stark distanzierte Situation gegenüber dem übrigen Volk, das in viel geringerem Maß am kirchlichen Leben teilnimmt. Die entscheidende Brücke für die distanzierten Christen (besonders aus der volkreichen Arbeiterschaft) könnte nur durch die Rückkehr der Pfarrgemeinde, zumindest in Aktivgruppen, in das (Wohn)milieu selbst geschlagen werden.

Eine Rolle dabei käme dem Religionsunterricht gerade um die Erstkommunion herum und anderen „Anlässen“ zu. Aus den Gesprächen der Interviewer am Rande der Besuche entstand aber ein Eindruck, der für den Religionsunterricht nicht ohne Konsequenz bleiben sollte. Nicht nur, daß er zur religiösen Aktivgemeinde (Pfarre) keine Brücke schlägt, scheint auch die Wissensvermittlung über religiöse Wahrheiten und Kirche von geringer Effizienz, betrachtet man den Stand bei den Eltern der Erstkommunikanten, die ja ihre Pflichtschulzeit noch nicht so lange hinter sich haben: entscheidende Glaubensinhalte und Sittenlehren sind meist unbekannt.

Der Antwortcharakter der christlichen Heilsbotschaft auf die individuellen und sozialen Nöte unserer Zeit müßte also im täglichen Leben mehr erlebbar gemacht werden. Dies .ist einmal von der Verkündigung her eine Aufgabe der Wissensvermittlung und bedarf andererseits einer Einladurtg zum Mitmachen in den konkreten Lebenssituationen. Diese Schlußfolgerungen sprechen eindeutig zugunsten einer in die Pfarrseel-sorge integrierten kategorialen Seelsorge. Vor zehn Jahren hatte die Wiener Diözesansynode begonnen, die viel Kraft auch in den Aus- und Aufbau der kategorialen Seelsorge investiert hat. Was ist daraus geworden?

Die Vorschläge zum Heilsdienst in der Arbeits- und Betriebswelt sind nie in Kraft gesetzt worden. Wenn man damit die Diskussion bei der deutschen Nationalsynode vor wenigen Jahren über die betreffenden Aussagen vergleicht, besonders darüber, ob die Kirche vor der Arbeiterfrage versagt habe, dann hat man bei uns gar nicht annähernd ein Problembewußtsein entwickelt.

Gemeinden, die präsent sind in dieser Welt und dieser Gesellschaft — sie wollte man damals wie heute. Warum läßt man dann Chancen der Präsenz - wie die Schulseelsorge, die Jugendseelsorge, die Seelsorge in kirchennahen Verbänden -, brach liegen und investiert in „Steckenpferde“ von Aktionen und Runden und versteckt sich hinter oberflächlichem humanitären Zuckerguß ganzer Religions-Werkbücher, statt Glaubenswahrheiten zu verkünden?

(Der Autor ist Ordinarius für christliche Ethik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien)

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung