6903059-1980_34_08.jpg
Digital In Arbeit

Kirchlichkeit bleibt mir selbstverständlich

Werbung
Werbung
Werbung

Weil ich ein Mensch und Christ bin, ist es für mich im letzten doch selbstverständlich, daß ich ein Christ in der Kirche, ein kirchlicher Christ bin.

Ich möchte das Denken und die freie Entscheidung nicht „sozialisieren", Verstand und Freiheit bei einem Kollektiv abliefern. Aber ich kann mich nun einmal auch nicht so wichtig nehmen, daß mir meine eigene Uberzeugung noch wirklich radikal wichtig wäre, wie es dem Glauben als totaler Lebensentscheidung eigen sein muß, wenn sie von vornherein und nur die meine sein wollte.

Wenn Religion das Eigentlichste und Ganze des Menschen meint, dann kann sie gar nicht von vornherein bloß das Individuelle und das Innerlichste des einzelnen Menschen allein meinen wollen. Religion muß meine eigene und freie Uberzeugung sein, muß in der innersten Mitte der Existenz erfahren werden können.

Aber diese Existenz findet sich selber nur in einer Gemeinschaft und Gesellschaft, indem sie sich gebend und empfangend öffnet.

Überdies ist das Christentum eine geschichtliche Religion, bezogen auf den einen Jesus Christus. Von ihm habe ich durch die Kirche und nicht anders gehört. Ich kann mir daher kein priva-tistisches Christentum leisten, das seine Herkunft meines Christentums selber durch meine Kirchlichkeit bezahlt.

Ein solcher kirchlicher Christ weiß natürlich um die Geschichtlichkeit der Kirche. Er weiß darum auch um all das Allzumenschliche und Unmenschliche, das in dieser Geschichte der Kirche „an Haupt und Gliedern" geschehen ist. In Vergangenheit und Gegenwart.

Ein Christ, der an die echte Herkünf-tigkeit der Kirche von Jesus Christus und darum an ihr Wesen als Grundsakrament des Heils für die ganze Welt glaubt, kann sich bei dieser nur zu oft allzu menschlichen Geschichte der Kirche nicht ganz unbefangen wie bei anderen geschichtlichen Gebilden darauf berufen, daß es sich eben um eine Geschichte von armen Menschen handle, die sich überall auf der Bühne der Weltgeschichte schrecklich aufführen; er müßte vielmehr hoffen und erwarten, daß der Sieg der Gnade, den die Kirche auch in ihrem Erscheinungsbild der Welt verheißen soll, mit strahlendem Glanz in ihrer eigenen Geschichte offenbar werde.

Es gibt darin diese Offenbarung, die nur der grämliche Menschenverächter aus Grundsatz übersehen kann. Aber der Christ würde wünschen, dieser Glanz sei erheblich deutlicher.

Der Christ wird diese seine bescheiden machende Erfahrung realistisch als Tatsache hinnehmen, auch wenn er sie nicht ganz erklären kann und noch weniger rechtfertigen darf in einem billigen Triumphalismus (wie man das Gemeinte auf dem letzten Konzil genannt hat).

Da aber ein ehrlicher Christ, der sich selbst als armer Sünder erkennt, seinen eigenen Beitrag zu dieser Verdunkelung der Erscheinung der Kirche leistet, wird er gewiß nicht pharisäisch aus dieser Verdunkelung ein Recht ableiten, sich von dieser Kirche der Sünder zu distanzieren.

Recht auf Kritik hat er natürlich immer. Eine letzte Identifikation mit dem Grundwesen der Kirche, das ihr nie verlorenging oder -geht, bedeutet ja kein Einverständnis mit allem und jedem, was in der Kirche getan wird. Auch nicht mit allem, was die Hierarchie oder der Papst tun, und auch nicht mit allem und jedem, was in der Kirche als offizielle Lehre vorgetragen wird.

Für mich ist zwar das eigentliche Dogma der Kirche eine schlechthin ver-

pflichtende Größe; und ich mußte als Christ und als Theologe gar nicht selten mit einer, gewissen Anstrengung des Geistes und Herzens fragen, was mit einem bestimmten Satz, den das kirchliche Lehramt als Dogma vorträgt, eigentlich gemeint sei, um meine Zustimmung ehrlich und ruhig leisten zu können.

Ich habe aber keinen Fall in meiner Lebensgeschichte erlebt, in dem mir dies nicht möglich gewesen wäre. Wenigstens dann nicht, wenn ich mir auch bei solchen Dogmen klar machte, daß sie alle nur mit ihrem Richtungssinn auf das Mysterium Gottes selbst richtig verstanden werden, daß sie immer in einer auch geschichtlich bedingten Gestalt auftreten, immer unvermeidlich mit gewissen Amalgamen verbunden sind, die nicht eigentlich zu ihrem Aussageinhalt gehören und diesen doch mißverständlich machen können, daß diese Dogmen in ihrer Formulierung auch Sprachregelungen sind, die von der gemeinten Sache her nicht immer gerade so sein müßten.

Anders ist es aber bezüglich dieser oder jener relativ untergeordneten Lehre, die auf dem Gebiet der Exegese, der systematischen Theologie, der Moraltheologie vom römischen Lehramt vorgetragen wurde oder vorgetragen wird als amtliche Lehre mit dem An-

spruch, verbindlich, wenn auch nicht „definierend" zu lehren.

Um nur Beispiele aus jüngster Zeit zu erwähnen, so finde ich weder von der Sachargumentation noch von der formalen, tatsächlich in Anspruch genommenen Lehrautorität der Kirche her einen überzeugenden und zwingenden Grund, der umstrittenen Lehre aus „Humanae Vitae" Pauls VI. oder der Erklärung der Glaubenskongregation zuzustimmen, die die Ordination einer Frau grundsätzlich und für alle Zeiten und Kulturen ausschließen will.

Aber eine solche Identifikation mit jedweder kirchenlehramtlichen Erklärung außerhalb des eigentlichen Dogmas verlangt die Kirche nicht nur faktisch nicht von mir, sondern auch nach den Prinzipien in dieser Frage nicht, die sie in ihrer normalen Theologie selber lehren läßt.

Ist dem aber so, dann braucht ein Christ und ein Theologe bei solchen Distanzierungen nicht das Gefühl zu haben, er marginalisiere sich selber durch seine Haltung in der Kirche. Als Theologe hat er es dann vielleicht nicht in jedem Fall bequem. Es kommen wohl auch heute noch sachlich unberechtigte administrative Maßnahmen vor, durch die die legitime Meinungs- und Forschungsfreiheit der Theologen ungebührlich eingeschränkt wird.

Man kann aber solchen Engen in der faktischen Kirche auch nicht von vornherein dadurch abhelfen wollen, daß man das Lehramt vor das Dilemma stellt, entweder das reine Dogma allein zu verkünden und zu schützen oder einfach ganz zu schweigen.

Darum bleibt dem Theologen nichts übrig, als nach Kräften dahin zu wirken, daß solche Fehlgriffe der amtlichen Lehrinstanzen faktisch möglichst selten passieren, auch wenn es kein apriorisches Rezept für eine völlige Vermeidung gibt, und im übrigen solche Fehlgriffe in Geduld unter jene Mängel und Sünden zu rechnen, die in der Geschichte der Kirche der Sünder nie fehlen werden.

Auszugsweise aus: „Warum ich Christ bin", 388 S., öS 230,-, Copyright by Kindler-Verlag.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung