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Klare Absagen an System-Veränderer

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Norwegens konservativer Regierungschef Kaare Wil-loch und Schwedens sozialdemokratischer Premier Olof Palme haben die Wahlhürden knapp übersprungen und regieren ihre Länder weiter. Nichts wissen wollten die skandinavischen Wähler von einem „Systemwechsel“.

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Norwegens konservativer Regierungschef Kaare Wil-loch und Schwedens sozialdemokratischer Premier Olof Palme haben die Wahlhürden knapp übersprungen und regieren ihre Länder weiter. Nichts wissen wollten die skandinavischen Wähler von einem „Systemwechsel“.

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Von einer „konservativen Welle“, die nach Ansicht vieler Kommentatoren während der letzten Jahre durch Skandinavien gerollt sein soll, ist nach den jüngsten Wahlergebnissen in Norwegen und Schweden nicht mehr viel zu spüren.

Wohl werden im traditionell sozialdemokratischen Skandinavien Dänemark und Norwegen weiterhin bürgerlich regiert. Das augenfälligste Merkmal der jüngsten politischen Ereignisse ist jedoch die Absage an jene Kräfte, die einen „Systemwechsel“, den Aufruhr gegen das solidarische Wohlfahrtsstaatsmodell, propagiert hatten.

Nie zuvor hat eine skandinavische Partei - von Protestgruppen am äußersten rechten Flügel abgesehen - diesen Aufruhr so konsequent vertreten wie diesmal Schwedens konservative „Moderate Sammlungspartei“. Doch das Urteil der Wähler fiel vernichtend aus:

Die Konservativen purzelten nicht nur aus den luftigen Höhen, die ihnen Meinungsumfragen noch vor einem halben Jahr verheißen hatten; sie fielen auch noch deutlich unter jenes Wahlergebnis zurück, das sie schon vor drei Jahren erzielt hatten. Der Hinweis ihres Parteichefs Ulf Adelsohn, auch die Niederlage sei noch das zweitbeste konservative

Wahlergebnis nach dem Krieg, war für die von Machtübernahme träumende Partei nur ein sehr schwacher Trost.

Statt Adelsohn und sein Priva-tisierungs- und Steuersenkungsprogramm, das neoliberalen Modellen so nahe kommt wie kein anderes skandinavisches Parteikonzept, erkoren die bürgerlichen Wähler plötzlich die liberale Volkspartei und ihren neuen Vorsitzenden Bengt Westerberg zu ihren Favoriten.

Die Volkspartei hatte seit Jahren ein Mauerblümchendasein in der schwedischen Politik geführt. Doch in einem überaus harten Zweikampf zwischen Olof Pal-mes Sozialdemokraten, die sich ganz der Verteidigung des bestehenden Gesellschaftsmodells verschrieben hatten, und der Herausforderung von rechts durch eine aggressive konservative Partei entdeckten viele Wähler die Attraktivität der Partei, die sowohl zur Marktwirtschaft wie auch zu sozialer Verantwortung ja sagte.

Wahlkampfbedingte Schminke trug zweifellos zum Wahlresultat bei. Auch die Konservativen hätten das „Volksheim Schweden“ nicht eingerissen, wie die Sozialdemokraten es im Wahlkampf ausmalten. Und die „Volkspartei“ trägt, wie der eurokommunistische Parteichef Lars Werner konstatierte, „das gleiche Konzept wie die Konservativen, nur etwas kultivierter, vor“. Doch als „Gesell-schaftsveränderer“ traten in diesem Wahlkampf eben die Konservativen auf—und die Wähler präsentierten ihnen die Rechnung dafür.

Unter den konservativen Parteien Skandinaviens nehmen die schwedischen eine Sonderstellung ein. In Norwegen wie in Dänemark gibt es rechts der Konservativen noch eine Protestpartei mit Parlamentsrepräsentation. In Schweden hingegen vertreten die Konservativen die „rechtesten“ Positionen des politischen Spektrums. So treten Dänemarks Konservative und Norwegens „Hoey-re“ weit weniger ideologisch auf als ihre schwedische Schwesterpartei.

„Ich bin nicht so konservativ, daß es etwas ausmacht“, ist eines der Lieblingworte des dänischen Ministerpräsidenten Poul Schlüter, unter dem Dänemarks Konservative so mächtig wurden wie noch nie seit vorparlamentarischen Zeiten. Auf dem letzten Kongreß warnte Schlüter seine Parteifreunde vor einem leichtfertigen Aufruhr gegen das sozialdemokratisch geprägte Gesellschaftsmodell. „Wir wollen das System reformieren, aber nicht total umkrempeln.“

Auch Schlüters Worte sind geschminkte Wirklichkeit. Zahlreiche Maßnahmen, mit denen seine bürgerliche Regierung die Wirtschaftskrise zu bekämpfen versuchte, trugen durchaus den Charakter eines Aufruhrs gegen den auf Gleichheit und Solidarität ausgerichteten Wohlfahrtsstaat: Kürzung des Krankengeldes, der Arbeitslosenbeihilfe, der sozialen Zahlungen.

Doch Schlüter führte seinen gesellschaftspolitischen Kampf nicht mit offenem Visier. Er verschanzte sich hinter wirtschaftspolitischen Zwängen. Er wußte, daß es mit der Popularität seiner Regierung, seiner Partei und nicht zuletzt seiner Person vorbei wäre, wenn er einen offenen Angriff auf das altbekannte Gesellschaftsmodell lancierte.

Mängel im Krankenhauswesen

0' hätten Norwegens bürgerliche Parteien um ein Haar die Regierungsmacht gekostet. Nicht rasch wachsender Wohlstand fast aller Bevölkerungsschichten, nicht Steuersenkungen, fallende Inflation und minimale Arbeitslosigkeit wurden zum Hauptthema im norwegischen Wahlkampf, sondern die Frage, wieso das ölreiche Norwegen seinen alten und kranken Bürgern keine anständige Behandlung zukommen lasse.

Kaare Willoch, der konservative Regierungschef, wird daraus lernen. Schon im nächsten Haushalt wird der Sozialbereich neue Bewilligungen bekommen. Wohl ist Willoch ein konservativer Ideologe - aber er ist auch Pragmatiker genug, um die Müliarden, die der Olsegen in seine Staatskasse fließen läßt, dort einzusetzen, wo ihm politische Niederlagen blühen.

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