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Klare Diagnosen, keine Therapie

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„Die Zukunft der Zukunft" heißt das Motto der Salzburger Hochschulwochen, die sich die Aufgabe gestellt haben, Zukunftsängste zu analysieren, Gefahren zu erkennen und Hoffnungszeichen zu orten.

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„Die Zukunft der Zukunft" heißt das Motto der Salzburger Hochschulwochen, die sich die Aufgabe gestellt haben, Zukunftsängste zu analysieren, Gefahren zu erkennen und Hoffnungszeichen zu orten.

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Das Motto dieser Hochschulwochen ist von einer geradezu feuil-letonistischen Griffigkeit. Es garantiert auch eine pluralistische Diskussion ohne Einengung auf spezielle Aspekte. Entsprechend reichhaltig ist die Palette dessen, was die Vortragenden über das von der Zukunft Wißbare, zu Befürchtende, zu Erhoffende zu sagen haben.

Auch in den Referaten fehlt es nicht an eingängigen Formulierungen. Manche könnte sich selbständig machen und zu einem Eigenleben in den Medien gelangen. Etwa die Feststellung des Münch-

ner Religionsphilosophen Eugen Biser, der Mensch lebe heute „mit dem Rücken zur Zukunft".

Darin drückt sich, nicht weniger einprägsam, ein Lebensgefühl aus, das in tiefem Gegensatz zu den Empfindungen steht, welche in den fünfziger Jahren die von Robert Jungk geprägte Formel „Die Zukunft hat schon begonnen" ausgelöst haben mag.

Heute geht es nicht um Ausblik-ke in eine Welt der das Leben immer schöner, reicher und leichter machenden Erfindungen, sondern um die Analyse von Ängsten und Gefahren. Eine der Voraussetzungen, damit fertig zu werden, sah Biser in einer Betonung der „genuin christlichen Enderwartung" als Gegenpol apokalyptischer Schreckensvorstellungen. Sie könne Zukunftsimpulse vermitteln, die rückwärtsgewendeter Religiosität fremd seien.

Die Salzburger Hochschulwochen zeigen heuer einmal mehr, daß die Hoffnung, das Heil könne von wissenschaftlichen und technischen Innovationen kommen, kaum mehr als Funke unter der Asche glimmt. Was an Hoffnung heute sichtbar wird, setzt nicht nur in Salzburg auf menschliche Einsichten, Veränderung

menschlicher Verhaltensweisen.

Zwei Positionen seien als Beispiele genannt. Der Kölner Pädagogik-Ordinarius Egon Schütz ortet im Verhältnis des Individuums zur Zukunft und in den zu-kunftsbezogenen Denkweisen tiefgreifende Unterschiede, die bewußt gemacht werden müssen. Eduard Pestel, Direktor des Instituts für Systemforschung und Prognose in Hannover, plädiert für eine Änderung der gesellschaftlich verbindlichen Wert-

Vorstellungen und für den Niederschlag einer solchen Umorien-tierung in der Politik.

Schütz will Zukunft von Zukünftigkeit unterschieden wissen, weist auf die Verschiedenartigkeit von Phänomenen hin, die sich sprachlich in der Gegensätzlichkeit von Begriffspaaren wie Bitte und Forderung oder Versprechen und Vertrag ausdrückt, sieht seine Methode aber nicht als semantische, sondern als phänomenologische, als Absage an Verallgemeinerungsstrukturen. „Dem Wissen", so Schütz, soll „ein Gewissen geschaffen werden".

Sicher kann darin ein Beitrag zu der von Eduard Pestel geforderten Veränderung der Wertvorstellungen gesehen werden. Von Pestel kommen auch jene Forderungen an die Politik(er), die angesichts der die Menschheit bedrohenden Gefahren nur als minimale bezeichnet werden können, dem Beobachter konkreter und keineswegs nur österreichischer Politik aber utopisch erscheinen müssen.

Die Politiker, so Pestel, müßten der Fähigkeit des Bürgers vertrauen, rational zu entscheiden, rationale Appelle nachzuvollzie-hen. Sie müßten ihrerseits lernen, sich bei der Gestaltung ihrer Politik, ihrer Ziele, rationaler Methoden zu bedienen. Das eingerissene Rollenspiel zwischen Regierungsund Oppositionsparteien hätte (hört, Österreicher!) einem konstruktiven Miteinander zu weichen.

Prestel fordert die Wertverschiebung von individualistisch-wettbewerbsmäßigem zu partnerschaftlich-kooperativem Denken und die Orientierung der Entscheidungen an Ergebnissen der Systemforschung, die glaubwürdig zeigen könne, wie die Nebenwirkungen aller Maßnahmen die beabsichtigten Hauptwirkungen zu übertreffen vermögen.

„We ought to, but we don't" hat Kurt Tucholsky einmal geschrieben — wir sollten, wird in Salzburg wieder einmal deutlich vernehmbar. Rezepte dafür, wie dahin zu gelangen sei, sind derzeit nicht auf dem Markt.

Gewißheit im Asyl

Der Schwund von Zukunftsgewißheit gehöre geradezu konstitutiv zum Zivilisationsprozeß, notierte der in Zürich lehrende Philosoph Hermann Lübbe einmal. Mit dem Schwund an Zukunftsgewißheit schwindet aber auch all das, was den Menschen auf seine Zukunft hin hält.

Wo die Gewißheit sich in das Asyl begibt, beginnt der Insecuritas-Raum, von dem Peter Wust gesprochen hat; sein 100. Geburtstag steht in diesen Tagen an; „Unsicherheit und Wagnis" zählen zu den Kategorien, die sein Denken bestimmten.

Die Salzburger Hochschulwochen haben sich mit dem Generalthema „Die Zukunft der Zukunft" auf Ähnliches eingelassen, mit dem Münchner Religionsphilosophen und Guardini-Nachfolger Eugen Biser den bestimmenden Denker eingeladen, der den „Gott der Zukunft" beschreiben sollte, ein Unterfangen, das von vornherein und in der Beschäftigung mit dem Alten Testament das Thema Hoffnung anklingen ließ.

Wie aber findet man von Unsicherheit und Ungewißheit, von Furcht und Angst angesichts einer bedrohlichen Lage zu einer Hoffnung, die auf ein Bevorstehendes, aber noch nicht Greifbares, ein Positives, ein die Not Wendendes abzielt?

Biser notierte vorweg, daß eine Perspektivendrehung

vonnöten sei, da der Mensch im Augenblick Hand an seine eigene Evolution legt und die Regie seiner eigenen Apokalypse übernommen hat.

Schwergewichte ziehen ihn nach hinten, die abendländische Denkweise der Was-Frage zum Beispiel, und schließlich das „schmerzliche Absinken der Lebenskraft", das in seltener Klarheit Reinhold Schneider in seinem „Winter in Wien" beschrieben hat.

Wenn sich dies aber so verhält — was kann uns da noch helfen? Biser: „Was uns neue Zukunft gibt, muß von der Größenordnung Gottes sein". Es geht darum, sich von Gott zur Zukunft verhelfen zu lassen.

Die theologische Glaubensbegründung habe den Zusammenhang von Glaubensbereitschaft und Lebenswillen zu spät angesetzt. Einen sprechenden Beleg dafür bot der Mainzer Altbischof Kardinal Hermann Volk beim Festakt mit seiner Rede vom „Neuen Menschen", wobei er die These vertrat: Je weltlicher die Welt wird, umso christlicher muß der Christ werden.

Bleibt die Hoffnung als Grundexistential des Menschen im Sinne etwa von Gabriel Marcel, wobei dieser Grunddimension und dazu den Chancen des Christseins in dieser zweiten Woche der Hochschulwochen nachgegangen wird. F M

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