Ambivalenz der Vernetzung

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Eigentlich galt die positive Grund-überzeugung: Jede weitreichende Verflechtung (networks und flows über die ganze Welt) ist eine gute Sache. Globalisierung schweißt die Erde zur „Weltgesellschaft“ zusammen; eine über alle Kontinente sich erstreckende Arbeitsteilung produziert höchste Effizienz; eine kosmopolitische Perspektive macht die Kulturen der Welt überall zugänglich; politische Vernetzung schafft Frieden, da man einander kennen und vertrauen lernt.

Freilich kam Weltgesellschaft nirgends in Sicht. Der Weltmarkt schafft wohl Konvergenz, aber für die Spitzenreiter bedeutet das, dass es (für manche sozialen Gruppen) abwärts geht. Wenn sich Arbeits- und Gütermärkte ausdehnen, wandern Arbeitsplätze international; oft ohne Kompensation. Außerdem hält sich die vertrauensvolle ökonomische Kooperation in Grenzen, wenn der andere Partner Design klaut, Technologie ausspioniert oder politisch hineinpfuscht. Der Kosmopolitismus kollidiert mit dem Wunsch der Bevölkerungen, ein gewisses Zusammengehörigkeitsgefühl aufrechtzuerhalten. Politisch-vertrauensvolle Vernetzung kann mit der Ausbeutung der Friedvollen durch die Zyniker enden. Ökologisch landet Verflechtung im Gefangenendilemma: Wer vernünftig handelt, rutscht ab.

Und jetzt auch noch das Virus. Effizienzsteigerung und Stabilisierung durch Netzwerke ist eine Seite: Internet wurde zu dem Zwecke erfunden, bei Teilausfall intakte Umgehungsmöglichkeiten zu haben. Auf der anderen Seite bewirkt Verflechtung Instabilität: rasante Infektionsverbreitung; Stocken aller „Flüsse“; wirtschaftliche Folgeschäden. Wenn die Chinesen nicht mehr liefern, fährt die Wirtschaft auf der ganzen Welt hinunter. Ist das ein Anstoß, nicht über maximale, sondern über optimale Verflechtung nachzudenken?

Der Autor ist Professor für Soziologie an der Universität Graz.

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