Angst vor dem Kollaps: Dünne Decke und dünnes Eis

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Die Haltbarkeit hat Grenzen, und unter dem brüchigen Eis erstreckt sich der Ozean der Dunkelheit: Krise, Dekadenz, Krieg. Der Kollaps droht

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Die Haltbarkeit hat Grenzen, und unter dem brüchigen Eis erstreckt sich der Ozean der Dunkelheit: Krise, Dekadenz, Krieg. Der Kollaps droht

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Kürzlich bin ich wieder auf diese Metaphern gestoßen, und weil wir uns aus mehreren Gründen wieder ernsthafte Gedanken über die Überlebensfähigkeit unserer Zivilisation machen dürfen, werden auch solche „Bilder“ wieder aktualisiert: zwei radikale Begrenzungen des gesellschaftlichen Seins.

Die „dünne Decke der Zivilisation“ verweist auf Kräfte, die unbewusst oder unerkannt wirken, deren zerstörerische Wirkung man aber erahnt. Die dünne Decke schützt, aber sie ist keine Garantie, auch nicht gegen die unleidliche psychische Ausstattung des Menschen. Bedrohliches, Irrationales, Gewaltsames gehören zur Menschennatur: Aggression, Lüge, Gier, Tod. Institutionelle Vorkehrungen zielen darauf, solche Impulse zu bändigen. Aber die Barbarei droht allemal. Das „dünne Eis der Zivilisation“ verweist auf die Tatsache, dass man sich nicht allzu leichtsinnig gebärden soll. Denn das prekäre Fundament knackt und knarrt, bei jedem Schritt droht man einzubrechen. Auf den erreichten zivilisatorischen Leistungen soll man nicht herumtrampeln. Die Haltbarkeit hat Grenzen, und unter dem brüchigen Eis erstreckt sich der Ozean der Dunkelheit: Krise, Dekadenz, Krieg. Der Kollaps droht. Die beiden Bilder hängen zusammen. Wenn es nicht gelingt, manches unter der „dünnen Decke“ zu halten, dann bricht das „dünne Eis“.

Wenn sich die Barbarei verbreitet, wird der Kollaps möglich. Wenn Heuchelei vorzuherrschen beginnt, stirbt die Wahrheit. Einige Geisteswissenschafter driften ins Autoritäre, ohne dass sie es merken. Selbstbewusstsein schlägt in Fanatismus um. Kritik wird radikal antikritisch. Verwöhnung verliert die Wirklichkeit. Antirassisten gebärden sich wie Rassisten. Orientierung sucht man in Spintisierereien. Früher hätte man gesagt: Der Teufel schläft nicht. Der Autor ist Professor für Soziologie an der Uni Graz.

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