Bürgergesellschaft oder Zivilgesellschaft?

Im Rahmen der Präsentation eines Sammelbandes zur „Bürgergesellschaft“ wurde ich gefragt, was denn diesen Terminus vom Begriff „Zivilgesellschaft“ unterscheide. Abgesehen von wissenschaftstheoretischen Herleitungen und politischen Zuschreibungen liegt für mich ein entscheidender Unterschied in der Semantik: Der Begriff „Bürgergesellschaft“ adressiert Personen als entscheidende Bestandteile einer als Staat organisierten Gesellschaft, während „Zivilgesellschaft“ als Zusammenfassung von Gruppen verstanden wird, die sich als Gegenüber oder gar in Opposition zu staatlich organisierten Strukturen einer Gesellschaft sehen.

Dabei bereitet mir großes Unbehagen, wenn der Begriff der „Zivilgesellschaft“ zur Abgrenzung gegenüber „der Politik“ verwendet wird. Ist dies nicht mit dem Streben von Populisten ident, gegen „das Establishment“ anzutreten, obwohl man selbst ein Teil davon ist? Entgegenzutreten ist auch jenen, die Bürgerlichkeit durch Gleichsetzung mit Kleinkariertheit und moralischer Spießigkeit diskreditieren: Bürgerlichkeit bedeutet für mich Offenheit, Mündigkeit, Engagement und Verantwortlichkeit. Eine funktionierende Gesellschaft braucht einen so verstanden Citoyen!

Selbstverständlich ist für mich aber, dass Bürger, auch wenn sie sich als Teil einer staatlich organisierten Gesellschaft begreifen, in wacher innerer Distanz zu den staatlichen Strukturen stehen sollen: Auch in einer Demokratie braucht es critical friendship zur Aufrechterhaltung von Korrekturfähigkeit. Aber: Bürger sollen in ihrer persönlichen Verantwortlichkeit wahrgenommen werden und nicht in der Anonymität zivilgesellschaftlicher Strukturen verborgen bleiben. Dieses personale Element gesellschaftlicher Verantwortung macht für mich der Begriff „Bürgergesellschaft“ deutlich.

Der Autor ist Professor für Arbeits- und Sozialrecht und Leiter des Instituts für Familienforschung.