In Vorbereitung einer Veranstaltung über den Auftrag der Christen in Politik und Gesellschaft war für mich die Versuchung groß, allgemein über das Handeln religiöser Menschen in Politik und Gesellschaft zu sprechen. Was aber macht die besondere Position eines Christen aus?
Da für Christen die Menschwerdung Gottes nicht abstrakt als gedankliches Konstrukt, sondern in einer konkreten historischen Kontingenz erfolgte, ist auch der Auftrag an Christen durch die Integration jüdischer, griechischer, römischer Denkweisen und Werte festgelegt, die allerdings einer „Verheutigung“ im Sinne des „aggiornamento“ von Johannes XXIII. bedürfen.
Ein Fundament christlicher Weltgestaltung ist die Anerkennung der Person als Ebenbild Gottes und damit die Trennung der religiösen Sphäre von ethnischer Zugehörigkeit. Wenn religiöse Bindung kraft einer persönlichen Gottesbegegnung gedacht und von der Abstammung losgelöst wird, erfährt das Individuum eine Aufwertung und gleichzeitig eine doppelte Einbindung in Gemeinschaften. Damit wird heute eine Standortbestimmung des Individuums im Verhältnis gegenüber staatlicher und religiöser Autorität notwendig und resultiert eine strukturelle Skepsis gegenüber der Idee, dass aktuell dominierende Vorstellungen als Wahrheit absolut und unabänderlich sind.
Für den Christen tritt das Streben nach fortschreitendem Erkennen der „Zeichen der Zeit“ an die Stelle des unreflektierten Festklebens an Formelsätzen. Unveränderlich bleibt nur das im Glauben liegende „ich vertraue“ (= credo) darauf, dass das Volk Gottes nicht unbegleitet den Weg durch die Zeit geht. Wer sich auf diese Weise als Christ einbringt, darf mutig darauf vertrauen, dass dem ehrlichen Bemühen eine liebende Vollendung verheißen ist.
Der Autor ist Professor für Arbeits- und Sozialrecht und Leiter des Instituts für Familienforschung.
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