Corona-gespaltenes Israel

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Fast 50 Prozent der Corona-Neuinfektionen in Israel gingen zuletzt auf die Strenggläubigen zurück. Für deren Bruch der Corona-Regeln muss das ganze Land büßen. Eine harte Probe für das Land.

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Fast 50 Prozent der Corona-Neuinfektionen in Israel gingen zuletzt auf die Strenggläubigen zurück. Für deren Bruch der Corona-Regeln muss das ganze Land büßen. Eine harte Probe für das Land.

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Der Anruf meiner Freundin kam kurz vor Sabbat-Beginn. Normalerweise schaltet sie zu diesem Zeitpunkt als modern-orthodoxe Jüdin das Handy aus. Aber dies war ein Notfall, sie musste reden. „Hast du die Videos gesehen? Ich hasse die Ultraorthodoxen!“ In mein verblüfftes Schweigen hinein korrigierte sie sich, offenbar über ihre eigenen Worte entsetzt, sofort. „Nein, natürlich hasse ich sie nicht. Aber ihr Verhalten ist unerträglich!“ Klar, kenne ich die Internet-Filmchen. Wie alle in Israel. Wir haben im zweiten Corona-Lockdown ja genügend freie Zeit, uns damit zu beschäftigen. Sie zeigen strenggläubige jüdische Männer, die ohne Masken dicht gedrängt beten und feiern.

An Jom Kippur versammelten sich in der Synagoge der Belz-Gemeinde in Jerusalem 4000 Gläubige. Zu diesem Zeitpunkt galten in Israel bereits die strengen Ausgangssperren. Die Zahl der Corona-Neuinfektionen war zeitweise auf mehr als neuntausend gestiegen bei rund neun Millionen Einwohnern. Der Anteil der ultraorthodoxen Judenan der Bevölkerungszahl liegt bei etwa zwölf Prozent. Aber fast 50 Prozent der Corona-Neuinfektionen gingen zuletzt auf die Strenggläubigen zurück. Für deren Bruch der Corona-Regeln muss das ganze Land büßen. Meine Freundin und ihr Mann sind wegen des Lockdowns arbeitslos geworden. Ihre Kinder können nicht zur Schule. Ihr Wutausbruch ist symptomatisch für die meisten Israelis. Im Sinne von „Leben und leben lassen“ haben sie es gut gefunden, dass den Ultraorthodoxen mit der Staatsgründung Israels Autonomie ermöglicht wurde. Sie haben toleriert, dass diese von der Armeepflicht und der Beteiligung am Wirtschaftsleben entbunden sind. Aber Corona stellt diese Duldung auf eine harte Probe. Das Virus ist lebensgefährlich – auch für den Zusammenhalt der israelischen Gesellschaft.

Die Autorin ist Korrespondentin der ARD im Nahen Osten.

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