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Darüber wird noch immer diskutiert: War 9/11 eine historische Zäsur? Zeitungen schrieben: Es werde nichts mehr so sein, wie es vorher war. Es folgten der Afghanistankrieg und der Irakkrieg – beides erfolglose Unternehmungen. Der Moment des Entsetzens über den Terror ging vorüber, grundlegende Normen und Deutungen erwiesen sich als stabil.

Es gäbe aber noch andere Kandidaten für die Zäsurvermutung: Im Wirtschaftsleben wähnte man sich krisenresistent – und dann kam die globale Krise 2008. Die Migration glaubte man im Griff zu haben, bis zum Jahr 2015. Die westliche Demokratie und ihre politische Kultur war im Bewusstsein der Menschen das endgültige, ungefährdete Politikmodell, bis überall in der westlichen Welt die Autoritarismen zu wuchern begannen und ein US-Präsident seinen Putschversuch unternahm. Europa wurde um die Jahrtausendwende als unstrittige Erfolgsgeschichte gefeiert, bis letztlich die Briten ihre Souveränitätsillusionen ausleben wollten. Die Union offenbarte sich als Verteilungsmechanismus für die schwachen Länder, die für ihre nunmehr aufgebesserten Transfers beim Verein bleiben. Am Schluss noch eine unerwartete Epidemie, die politisch-administrative Funktionsschwächen und das destruktive Gemeinwohlunverständnis von Teilen der Bevölkerung zum Vorschein brachte. Ein paar kleine Grüße aus dem Ressort Ökologie lassen sich auch nicht mehr wegdiskutieren.

9/11 war wohl nicht allein der entscheidende Einschnitt. Die Zäsur ergibt sich eher aus dem Gesamtpaket der genannten sieben Erfahrungen, die sich tief ins Bewusstsein der Menschen gesenkt und allesamt fundamentale Überzeugungen in Frage gestellt haben. Wer seine Lebensverhältnisse jetzt noch für ungefährdet hält, der ist nicht von dieser Welt.

Der Autor ist Professor für Soziologie an der Universität Graz.

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