Impfpflicht und Entfremdung

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Angesichts des zunehmenden gesellschaftlichen Stresspegels ist es wesentlich, Wunden nicht noch weiter zu vertiefen.

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Angesichts des zunehmenden gesellschaftlichen Stresspegels ist es wesentlich, Wunden nicht noch weiter zu vertiefen.

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Der gesellschaftliche Stresspegel ist hoch: Verbale Gewalt steigt, physische Gewalt steht im Raum. Angesichts der hohen Zahl von Personen, die gegen Covid-19 nicht geimpft sind, soll eine gesetzliche Impfpflicht normiert werden.

Auch der individuelle Stresspegel ist hoch: Jene, die unter der Krankheit und ihren Folgen, sowie jene, die unter den ökonomischen und sozialen Effekten der Pandemie in ihrem Alltag leiden, haben kein Verständnis mehr für Ungeimpfte; und jene, die die Impfung ablehnen, fühlen sich unverstanden und ausgeschlossen.

Viele Skeptiker sehen die Impfpflicht nicht als ultima ratio im Kampf gegen das Virus, sondern als ultimativen Angriff auf persönliche Freiheit und körperliche Integrität. Sie lehnen solchen Druck ab, weil sie sehen, dass auch in anderen Themen Verhaltenssteuerung durch moralisch argumentierte Ausgrenzung Methode ist, und weil sie fürchten, dass es gesellschaftlich schädliche Folgen haben kann, wenn soziale und ökonomische Marginalisierung durch Grundrechtseingriffe forciert wird, um Solidarität zu erzwingen.

Ich halte diese Furcht zwar für grundsätzlich legitim, weil es im wissenschaftlichen und im gesamt-gesellschaftlichen Diskurs entsprechende beunruhigende Indizien gibt; im Zusammenhang mit Covid-19 ist sie jedoch unangebracht. Es ist vielmehr nötig, wieder in Dialog zu kommen, weil es schädlich ist, wenn sich gesellschaftliche und individuelle Positionen in Sprachlosigkeit verhärten. Aber: Es braucht auf allen Seiten den Willen, aufeinander zuzugehen. Tragisch wäre Entfremdung durch wechselseitige Ablehnung und Unverständnis. Sie könnte jene Kräfte verschleißen, die im gemeinsamen Ringen um Grundwerte wichtig sind!

Verletzungen zu heilen, braucht Zeit; Wunden nicht noch weiter zu vertiefen, ist daher das Gebot der Stunde!

Der Autor ist Professor für Arbeits- und Sozialrecht und Leiter des Instituts für Familienforschung.

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