Israels zerrissene Gesellschaft

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Kurz nachdem ich nach Israel gezogen bin, habe ich mich im Norden des Landes verfahren. Ich wollte nach Safed, das als „historisches Zentrum jüdischer Gelehrsamkeit“ gilt und wegen seiner Künstlerkolonie gelobt wird. Nach allerlei Irrwegen, die mich meinem Ziel nicht näher, aber dafür an den Rand der Verzweiflung brachten, führte mich das Navi mitten durch ein Wohngebiet der Ultraorthodoxen. Wohlgemerkt: Ich war auf öffentlichen Straßen unterwegs. Aber am Sabbat! Der heilige autofreie Ruhetag der Strenggläubigen. Im Nu versammelte sich eine aggressive Gruppe Männer um mein Auto. Sie bespuckten es. Die ersten hoben Steine auf. Ich wollte sie ja gar nicht stören. Ich kannte mich nur nicht aus und wusste auch nicht, welche Straße mich wieder rausführt. Die strenggläubigen Männer ansprechen und nachfragen, als Frau in einem Sommerkleid, kam auch nicht in Frage. Irgendwie schaffte ich es, im Schritt­tempo dem Zorn zu entkommen.
Ein Anfängerinnenfehler. Mittlerweile weiß ich, welche Stadtviertel es wann zu vermeiden gilt bzw. wie man sich dort verhält. Aber immer mehr säkulare Israelis wollen nicht länger akzeptieren, dass religiöse Regeln auch ihr Leben bestimmen. In manchen Städten kommt es am Sabbat deshalb regelmäßig zu Schlägereien. Gerade jüngere Israelis sehen nicht ein, dass am Sabbat keine öffentlichen Verkehrsmittel ­fahren oder auch, dass die Ultraorthodoxen von der allgemeinen Wehrpflicht verschont werden. Wegen Letzterem ist im April die Bildung einer neuen Koalitionsregierung gescheitert und die jetzige Neuwahl erst nötig geworden. Denn Langzeitpremier Netanjahu ist es trotz des knappen Wahlsiegs nicht gelungen, die gegensätzlichen Standpunkte der religiösen und der säkularen Parteien, auf die er gleichermaßen angewiesen war, zu vereinen. Und es wird nicht leichter. Der Konflikt zwischen strenggläubigen Juden und säkularen Israelis wird das Land weiter spalten.

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