Lügen

Politik ist kein Ehrlichkeitswettbewerb. Ohne ein bisschen Verbiegerei geht es nicht, so wie im alltäglichen Leben einer Wählerschaft, die sich oft selbst nicht allzu viel Anstand abverlangt. In einigen Fällen erreicht die politische Lüge aber eine neue Qualität.

Der in gewissem Sinne traditionelle Fall ist Boris Johnson. Im Projekt Brexit war jedoch die Skrupellosigkeit beeindruckend, mit der zum Zwecke des Machtgewinns unsinnige Paradiesversprechungen erfolgreich ins Volk gestreut wurden, die von keinem, der halbwegs bei Sinnen war, geglaubt werden konnten.

Das Putin-Modell ist stärker: jenes einer vollständig entmoralisierten Politik. Sie folgt einer situativen Vorteilslogik. Man verspricht etwas und sagt am nächsten Tag Gegenteiliges. Man unterschreibt einen Vertrag und hält sich nicht daran. Die abstrusesten Beschuldigungen werden vorgetragen. Das Prinzip ist nicht Win-win-Kooperation, sondern ausschließlich die eigene „Spielposition“. Wenn es (für die Stärke der „Sowjetunion“) nützlich ist, gibt es keine Grenze, bis hin zum Mord. Geheimdienstlogik: Alles ist erlaubt.

Das Trump-Modell ist in vieler Hinsicht vergleichbar. Äußerungen haben nichts mit Wahrheit zu tun, sie sind ausschließlich situations- und egobezogene Marketinginstrumente. Im Unterschied zu Russland gibt es in den USA noch Reste demokratischer Gegenkräfte, die das Kippen des Systems verhindern.

Doch Trump ist es gelungen, Lüge von Peinlichkeit zu befreien. Wenn sie als Lüge entlarvt wird, macht das nichts, es werden einfach weitere Lügen hinzugefügt. Jede Äußerung hat nicht Realbezug, sondern ist ein emotioneller Impuls, der in die Anhängerschaft geworfen wird, diese begeistern und durch Akklamation und Repetition als Zugehörigkeitsmarkierung dienen soll.

Der Autor ist Professor für Soziologie an der Universität Graz.