Warum Vorhersagen nicht immer unsicher sind.
Zum Jahresbeginn möchte jeder Prognosen hören, obwohl es sich dabei um höchst verdächtige Phänomene handelt. Zum späteren Prognosezeitpunkt erinnert man sich normalerweise ohnehin nicht mehr an die seinerzeitige Voraussage. Und hinterdrein, wenn die Sache gelaufen ist, treten ohnehin die Besserwisser auf, die angeblich schon immer das Richtige angekündigt haben, etwa in der Epidemie.
Es gibt einen weitverbreiteten Irrtum: Je weiter Prognosen in die Zukunft reichten, desto unsicherer seien sie. Das ist falsch. Es hängt vielmehr vom Thema ab.
Als recht unzuverlässig haben sich Wirtschaftsprognosen erwiesen: Die Voraussage der Inflation wäre in Anbetracht der Zentralbankpolitik der letzten zehn Jahre nicht allzu gewagt gewesen. Unzählige Simulationen, manchmal in dramatischem Tonfall, hat es zur ökologischen Problematik gegeben. Nach einem halben Jahrhundert treten die vorausgesagten Folgen halt wirklich auf – und alle tun überrascht.
Überrascht darf man bei den „schwarzen Schwänen“ sein: extrem seltenen Ereignissen, mit denen niemand rechnet. Dazu gehören wohl die Kategorien Epidemie und Krieg.
Eine Reihe von langfristigen Prognosen war hingegen zuverlässig. Dass angesichts der seit Jahrzehnten niedrigen Geburtenraten und der Pensionswellen geburtenstarker Jahrgänge in den 2020er Jahren Arbeitskräfteknappheit eintreten wird, wurde schon vor zwei Jahrzehnten festgestellt. Dass es bei Ärztinnen und Lehrerinnen Knappheiten geben wird, war ebenfalls seit der Jahrtausendwende klar – dazu haben Grundrechnungsarten genügt. Dass es mit den Pflegekräften bei der alternden Bevölkerung Probleme gibt, war schon lange selbstverständlich. Wenn man sich hinsichtlich solcher Phänomene überrascht zeigt, fällt dies unter Ignoranz.
Der Autor ist Professor für Soziologie an der Universität Graz.