Uninteressante Zeiten

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Das Thema der Biennale lautet gegenteilig: May You Liv­e in Interesting Times. Das klingt nach Zeitdiagnose und ihrer Verarbeitung mit künstlerischen Mitteln. Also auf nach Venedig, die Stadt lohnt sich ohnehin immer. Nicht selten wird zudem Künstlern angesonnen, eine besondere Sensibilität für erst angedeutete gesellschaftliche Entwicklungen zu besitzen und solche Erkenntnis in der Spannung von Wirklichkeit und Fiktion kreativ zum Ausdruck zu bringen.

Nun ja, die venezianische Gastronomie kennt den Bluff. Warum nicht auch die Künstler? Ein Dutzend bemerkenswerte Exponate fallen mir schon ein. Aber weit über 90 Prozent sind erstaunlich langweilig. Ein bisschen Geometrie, arte povera, Schutthalden, Felstrümmer, Neonröhren, Alltagsfotos. Ein paar erwartbare Themen: Flüchtlinge, Geschlechter, Gewalt und Krieg. Alles ungerecht, das wissen wir bereits.

Eine Unmenge Digitales ist zu finden, deshalb stolpert man dauernd durch fins­tere Räume; aber fast alles auf rudimentärem Video-Niveau: Eine Person schaut ewiglang vor sich hin; die Wellen des Meeres rollen; eine Straßenkreuzung in Afrika ist lebhaft.

Nun ist man als gelernter Intellektueller immer in der Lage, jedes „offene Kunstwerk“ mit den ungeheuerlichsten Interpretationen auszustatten. Man bekommt in den Pavillons ja viele Texte, die einen mit dem üblichen Bullshit-Vokabular aufrüsten. Aber eigentlich wollte man irgendetwas Neues, Besonderes, Originelles erfahren; irgendetwas, was nicht schon durch Hunderte Zeitungskommentare durchgedreht worden ist. Stattdessen Oberflächliches mit Tiefsinnigkeitsgestus. Die wenigsten haben sich um das Expositionsthema bemüht: Sie haben geliefert, was halt so in der Schublade war. Nochmals: mit wenigen Ausnahmen.
Also bleibt dem Zeitdiagnostiker bloß die Metaebene. Am Ende repräsentiert eben das den spätmodernen Zeitgeist: Durcheinander, Kitsch, Einfallslosigkeit, Moralisiererei, Aufgeblasenheit und Bluff.

Der Autor ist Soziologe an der Universität Graz

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