Wiederkehr der Knappheit

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Die Wattewelt des Überschüssigen und Überflüssigen wird rauer. Das Leben kehrt ein, meint Manfred Prisching

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Die Wattewelt des Überschüssigen und Überflüssigen wird rauer. Das Leben kehrt ein, meint Manfred Prisching

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Jetzt wird es wieder interessant. Man muss entscheiden. Reflektieren. Fühlen. Evaluieren. Ein Ranking machen. Diese Prozeduren benötigt man, wenn etwas knapp wird. Dann heißt es: entweder das eine oder das andere. Oder vom einen ein bisschen und vom anderen ein bisschen. Oder nichts von beidem und etwas ganz anderes.

Die Lauschigkeit der präepidemischen Luxuswelt beruhte auf Watte. Im Luxus, verglichen mit der Geschichte und mit dem Rest der Welt, gab es alles. Der Staat half. Er erwarb Watte-Allzuständigkeit. Mehr Watte für alle. Dann setzen plötzlich die Knappheiten ein.

Lockdown ist Knappheit an Kontakten und an Amüsement. Zeitweilig Knappheit an Masken und Impfungen. Der Krieg dreht sich um Knappheit an Militärgerät und Soldaten. Gewollte Knappheit an Gas und Öl. Strom wird teurer. Alles wird teurer, Einkommen werden mancherorts knapp. Knappheit an Arbeitskräften, an Ressourcen und Atmosphäre: Die ganze Erde wird uns knapp.

Knappheit an Spitalsbetten, an Pensionen, an diesen oder jenen Medikamenten. Noch lange ist es keine Mangelwirtschaft, aber man macht Bekanntschaft mit zeitweiliger Nichtverfügbarkeit. Knappheit an Verstand herrscht immer.

Die erste Antwort auf drohende Knappheit ist freilich: ganz schnell einkaufen, reisen, loungen. Bevor es wirklich knapp wird. Verknappung erzeugt Aufmerksamkeit. In der vorherigen Flauschigkeit hat es immer alles gegeben, man brauchte nicht zu entscheiden. Knappheit zwingt zur Abwägung. Sie wirft sogar die Frage auf, die im Übergang zur Endemie schon wieder zu verschwinden schien: Was brauchen wir wirklich? In der Wattewelt des Überschüssigen und Überflüssigen braucht man nur zuzulangen. Doch in partiellen Verknappungen beginnt das Leben.

Der Autor ist Professor für Soziologie an der Universität Graz.

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