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Kleine Hasen, große Igel

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Straßburg hat entschieden: das bis Ende 1993 lückenlos geltende Sendemonpol des ORF widerspricht dem Artikel 10 der Menschenrechtskonvention.

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Straßburg hat entschieden: das bis Ende 1993 lückenlos geltende Sendemonpol des ORF widerspricht dem Artikel 10 der Menschenrechtskonvention.

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Dieser Artikel regelt Informati-ons- und Meinungsfreiheit und natürlich auch die Meinungsäußerungsfreiheit. Er hat in Osterreich seit 1964 Verfassungsrang. Das heißt, daß in unserem Lande seit geraumer Zeit ein (gutes) Stück Verfassung nicht so recht beachtet worden ist.

Die spontanen Stellungnahmen zum Straßburger Spruch zeichnen sich durch drei Merkmale aus: Sie stapeln tief oder sie übertreiben; sie vermitteln den. ..Eindruck, daß das Resultat nur so habe aussehen können und daß man das natürlich* vorher gewußt habe; sie stürzen sich auf die spannende Perspektive, daß jetzt nicht nur das Radio liberalisiert werden müsse, was ja mit dem Regionalradiogesetz bereits in die Wege geleitet sei, sondern auch das Fernsehen, das vorerst alleinige ORF-Angelegenheit bleiben sollte.

Die gröbste Übertreibung lieferte Jörg Haider, einer der Beschwerdeführer in Straßburg. Mit dem Urteil sei, so zitiert ihn „Die Presse”, „ein historischer Durchbruch hin zu Meinungsfreiheit gelungen”. Das klingt, als ob wir März 1848 schreiben würden. Ganz so schlecht ist es doch -trotz OBF-Monopol - um die Meinungsfreiheit in Osterreich nicht bestellt. Und Haider profitiert Tag für Tag von dieser Grundrechtsqualität. Aber ein Körnchen Wahrheit ist doch dabei: Auf dem Betätigungsfeld zweier wichtiger Medien, Hörfunk und Fernsehen, war — und ist immer noch - die Meinungsäußerungsfreiheit nach den geltenden Gesetzen mehr eingeschränkt, als sich rechtfertigen läßt; diese Einschränkung sei, so der Gerichtshof, „unverhältnismäßig” und „in einer demokratischen Gesellschaft nicht nötig”. Man muß sagen: nicht mehr nötig. Die Bundesregierung hat sich offenbar mit zwei Argumenten verteidigt, die aus dem berühmten Fernsehurteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts von 1961 (!) stammen: den Knappheiten der Frequenzen und der Finanzen (sprich Enge des österreichischen Marktes). Karlsruhe hatte aber damals selbst auf die Zeitgebundenheit dieser Aspekte hingewiesen. Inzwischen sind sie längst obsolet. Selbst die vorsichtigen Deutschen ha-,ben sich bereits auf.die Liberalisierung sämtlicher Rundmnkmärkte eingelassen.

In Osterreich wird mit dem Regionalradiogesetz nicht einmal die Hör-funklandschaft wirklieh liberalisierL.Freie, nichtkommerzielle Gruppen, Kirchen- und Universitätsradios haben keine Chance. Selbst die „Berechtigten” werden durch den in seiner Bedeutung bislang nicht recht erkannten letzten Satz des Gesetzes (ParaiS^h 26, Absatz 4) in eine Zwei-Klassengesellschaft geteilt: 1994 werden nämlich nur landesweit zu nutzende Frequenzbündel verteilt; und da es pro Land (außer Wien) nur ein solches Bündel gibt, werden sich zuerst einmal die potentesten Bewerber-Bündnisse bedienen. Erst ab 1995 wird es lokale Frequenzen geben, Brosamen von den Tischen der dann bereits versorgten Reichen, denen der Gesetzgeber ohne Not ein Jahr Vorsprung bei der Aufteilung der Radio-Werbemärkte gibt. Da schon jetzt absehbar ist, daß sich in den Bewerber-Gesellschaften jeweils benachbarte Zeitungsverlagshäuser mit den ihnen erlaubten Gesellschafter-Anteilen zusammenschließen, ist die Gefahr nicht von der Hand zu weisen, daß ein sekundäres Rundfunkmonopol zu entstehen droht: Wenn dann die kleinen Hasen ankommen, werden die großen Igel schon Winterspeck angesetzt haben, - wir sind schon da!

Die derzeitige Regelung im Regionalgesetz kann also dem Geist von Straßburg nicht entsprechen, und die Medienpolitik sollte eine rasche Öffnung auch für die Kleinen betreiben. Beim Femsehen hingegen spricht alles dafür, weniger rasch als besonnen vorzugehen. Wer Augen hat zu sehen (und eine Schüssel auf dem Dach), weiß, warum. Der Weg zum Erfolg führt alle privaten TV-Anbieter durch die Niederungen der plattesten Programm-Gefälligkeiten. Das deutsche Beispiel lehrt, daß die öffentlichrechtlichen Anbieter, wie der OBF auf einen anspruchsvollen Programmauftrag und die „ Grund-Versorgung” festgelegt, diesen Weg zu einem guten Stück mitzugehen gezwungen sind. Daraus kann man lernen. Und wenn irgendwo, dann bekommt die österreichische Artikel-10-Verzögerung in dem Bereich eine moralische Wiedergutmachungs-chance: Die Latte kann hoch gelegt werden, ehe der Anlauf zum privaten TV-Sprung freigegeben wird.

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