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Kleine Losung fur grobes Werk

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Dem am strengsten gehüteten Geheimnis der Bayreuther Festspielvorbereitungen entschlüpfte keine Sensation. August Everding hatte recht, als er wenige Stunden vor der Premiere sagte, es sei ebenso schwer, nach Wieland-Wagner in Bayreuth einen „Tristan“ zu inszenieren wie hier 197<i den „Ring“ zu machen. Es sind tatsächlich Hypotheken abzutragen: Der Regisseur hat gegen Wieland anzutreten, der Dirigent gegen Karl Böhm, Tristan gegen Wolf gang Windgassen, Isolde gegen die Nilsson. Die Künstler konnten nicht unbefangen ans Werk.

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Dem am strengsten gehüteten Geheimnis der Bayreuther Festspielvorbereitungen entschlüpfte keine Sensation. August Everding hatte recht, als er wenige Stunden vor der Premiere sagte, es sei ebenso schwer, nach Wieland-Wagner in Bayreuth einen „Tristan“ zu inszenieren wie hier 197<i den „Ring“ zu machen. Es sind tatsächlich Hypotheken abzutragen: Der Regisseur hat gegen Wieland anzutreten, der Dirigent gegen Karl Böhm, Tristan gegen Wolf gang Windgassen, Isolde gegen die Nilsson. Die Künstler konnten nicht unbefangen ans Werk.

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Die Neuinszenierung erwies sich denn auch als versuchter Ausweg. Everding ging der chiffrierten Syimbolsprache aus dem Weg, stieg nicht hinab zu den Müttern und setzte gegen Wielands Archetypen aus der Welt Henry Moores das private Drama zweier Liebender, die auf der Zinne von Kareol den Weg alles Irdischen gehen und nicht als Sterne in der All-Nacht verlöschen. Der Grundgedanke, die Tragödie zweier Menschen zu inszenieren, ist akzeptabel. Aber er artikuliert sich in den drei Akten szenisch doch zu heterogen und findet nur in der Nachtszene zu faszinierenden Momenten. Und es zeigt sich im Fazit dann doch, daß es eben zu wenig ist, einfach die Story zweier beliebiger Menschen zu erzählen, denn sonst könnte sich jeder Abteilungsleiter, der ein Techtelmechtel mit seiner Sekretärin hat, aus Tristan und Isolde hinausreden. Ein so großes Werk verträgt keine kleine Lösung.

Von des Gedanken Blässe am meisten angekränkelt ist der erste Akt. Der Schiffsbug in Josef Svobodas Bühnenbild ist zu neckisch stilisiert. Eine Leinwand (Segel und Vorhang in einem) trennt Tristan von Isolde und erfüllt spürbar die Funktion eines Kompromisses. In der Chorszene zeigt sich dann der Theaterpraktiker Richard Wagner seinem Kollegen Everding überlegen. Wagners Regieanweisung geht davon aus, daß die Anwesenheit des Seevolks an Deck auch motiviert sein müsse, und er weist den Mannen navigatorische Beschäftigungen zu. Bei Everding quellen uniformierte Trabanten aus der Luke, einzig zu dem Zweck, um auf Kurwenals Spottlied in den Refrain einzufallen: „Sein Haupt noch hängt im Irenland...“ i Mehr Dichte und Atmosphäre gewann der zweite Akt. Hier hat Svoboda eine Schnurdekoration ersonnen, auf die eine nächtliche Gartenlandschaft in diffuser Romantik projiziert wird. Die Nacht der Liebe sinkt hernieder, die Musik scheint den Raum zu weiten. — Der im Grundriß gleichbleibende dritte Akt erzählt dann die Episode von Tristan und seinem Krankenpfleger. Kurwenals betuliche Fürsorge für seinen wunden Herrn erstickt dessen Ekstasen und Visionen im Keim. Alles Symbolhafte wird auch zum Schluß peinlich vermieden. Es wird hell nach dem Liebestod, nichts deutet hin auf die große kosmische Vision. Das Drama des tödlichen Eros hat nicht stattgefunden; eine Menschentragödie hat sich erfüllt.

Die Erwartungen bei dieser Neuinszenierung hatten sich ohnehin mehr auf das Bayreuth-Debüt von Carlos Kleiber konzentriert. Der Schwierige unter den Dirigenten realisierte das ganz große musikalische Ereignis streckenweise. Es gab Momente, die waren grandios in ihrem expressiven Furor. Kleiber geht i es nicht um das Narkotikum im Klang, er reißt die Abgründe des Dramas auf und entfacht die Kräfte der Leidenschaft, die auf der Bühne gebändigt sind. Doch die durchgehend sehrende- Spannung blieb aus, und merkwürdig höhepunktlos strebte Kleiber dem Liebestod zu.

Catarina Ligendza hatte um ihren Einsatz bei der Eröffnungspremiere bangen lassen, bis sich der Vorhang hob. Die eilends herbeigeholte Ursula Schröder-Feinen stand einsatzbereit hinter der Kulisse. Aber die Indisposition wirkte sich nicht aus. Catarina Ligendza ist die schönste, fraulichste und wärmste Isolde, die sich denken läßt, ein gültiges Pendant zur Nielsson. Herrliche Piano-Kan-tilenen, schlanke Höhen und ein fast intim gesungener Liebestod ließen das Publikum diese Isolde als erklärten Liebling emphatisch feiern. Helge Brilioth als Tristan war in Typ und Habitus in der Tat nur König Markes bester Knecht. Seine barito-nal tönende Stimme befreite sich im Forte oft zu imposanten Stentortö-nen, aber Legato, Piano, Intonation und darstellerische Sensibilität sind mit unverkennbaren Schwächen befrachtet. Dennoch: Wo gibt es heute einen Tristan, der es besser macht?

Zwei überragende Sängerpersönlichkeiten sind indes zu registrieren: Yvonne Minton, als hell und geschmeidig singende Brangäne und Kurt Moll, dessen Marke der große Akzent des zweiten Akts war. Donald Mclntyre war der reckenhafte und stimmlich nicht immer kontrollierte Melot. Bayreuth hat einen neuen „Tristan“; einen handwerklich sauberen, musikalisch festspielwürdigen, aber keinen, der Epoche macht.

Einen Tag danach holte Götz Friedrichs „Tannhäuser“ das Publikum wieder zurück in den Bann des besessen erarbeiteten Regietheaters. Spannung und Intensität hatten auch zur zweiten Reprise dieser Inszenierung nicht nachgelassen, kein Detail wurde dem Zufall ausgeliefert, nichts blieb unausgedeutet bei einem Regisseur, der es Versteht, seine Absichten plausibel zu machen und der in Bayreuth etwas Ähnliches bewirken könnte, wie es Wieland Wagner zu seiner Zeit vollbrachte: die stets heilsame Unruhe immer wieder aufs neue zu entfachen. Die unerhörte szenische Brisanz (vor allem im zweiten Akt) übertrug sich auch auf Heinrich Hollreiser, der seine Leistung aus dem letzten Jahr durch Engagement und Verve und ein dramatisches al fresco überbot. Die Besetzung, unverändert, garantierte Kontinuität: Hermin Esser als Tannhäuser, Gwyneth Jones als Venus und Elisabeth, Hans Sotin als Landgraf und Bernd Weikl als Wolfram.

Dem Drama folgte das Satyrspiel: Die Regie in Wohlgang Wagnera bunter und fränkisch-deftiger „Meistersinger“'-Inszenierung blieb locker und unverkrampft, doch profitierte die Aufführung vor allem durch Theo Adam, dessen Sachs auch weiterhin unerreicht bleibt. Mit ihm stand eine Zentralgestalt auf der Bühne, die das ganze Ensemble mitriß. Da flimmerte es im zweiten Akt endlich wieder zwischen Evchen und dem Schuster, da hat jener seine Kämpfe auszustehen, bis er zugunsten des Junkers entsagt. Silvio Var-viso gebot dem musikalischen Ablauf schwungvoll und detailfreudig, und das Solistenensemble mit Jean Cox (Stolzing), Hannelore Bode (Eva), Klaus Hirte (Beckmesser), Hans Sotin (Pogner) bereitete ungetrübte Freude.

Der „Ring“ stand vier Abende lang im Zeichen des Experiments. Es wurden ein neuer Wotan und gleich drei Brünnhilden-Aspixantinnen ausprobiert, wodurch keine Geschlossenheit erreicht werden konnte, obwohl sich Host Stein am Pult um die große symphonische Linie redlich verdient machte. Donald Mclntyre als Wotan enttäuschte durch darstellerische Indifferenz im „Rheingold“ und in der „Walküre“, war aber ein überraschend souveräner Wanderer im „Siegfried“. Rohmaterial ist vorhanden, wie sich hier zeigte. Beim Brünnhilden-Wettgesang verblieb es beim Remis. Roberto Knie in der „Walküre“ hatte die schönste Stimme, ebenmäßiges Timbre. Aber dieser Sopran will gehegt und nicht verschlissen sein, dann kann schönes und kultiviertes Material reifen. Brenda Roberts („Siegfried“) hat das kräftigste dramatische Fundament, verfügt aber noch nicht über die nötige Registermischung, so daß es mehr beim — durchaus hoffnungsvollen — Kraftakt blieb. Gwyneth Jones („Götterdämmerung') war die stärkste Persönlichkeit, agierte vehement und überzeugend, doch begab sie sich stimmlich über die Grenzen ihres Fachs hinaus, so daß ihr von weiteren Abenteuern in Richtung Walkürenfelsen abzuraten wäre.

Der Hinweis auf den Werkstattcharakter Bayreuth tröstet nur schwach darüber hinweg, daß dort im hochdramatischen Fach ernste Materialsorgen herrschen, die ad hoc nicht zu lösen sind. Es gibt nur eine Ligendza, und die wird derzeit als Isolde gebraucht. Das charakterisiert hinreichend der Nibelungen Not.

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