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Kleine Schritte zum großen Geschäft

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Die Gentechnik (oder -technologie? Lexika wissen auch keinen Rat) eröffnet riesige medizinische, wirtschaftliche, landwirtschaftliche Möglichkeiten - und wer weiß, welche noch. Österreich will diese Entwicklung nicht verschlafen.

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Die Gentechnik (oder -technologie? Lexika wissen auch keinen Rat) eröffnet riesige medizinische, wirtschaftliche, landwirtschaftliche Möglichkeiten - und wer weiß, welche noch. Österreich will diese Entwicklung nicht verschlafen.

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Bio- und Gentechnologie hat das Potential, Chemie und Medizin zu revolutionieren — so lautet die einstimmige Meinung der österreichischen Pharmaindustrie. Daß man zunächst eine abwartende Haltung einnahm, lag auch an Unsicherheiten und Ressentiments diesem Gebiet gegenüber. Der Zug scheint aber noch nicht ohne uns abgefahren zu sein — die heimischen Betriebe „steigen zunehmend ins Geschäft ein” und bemühen sich um Anschluß an die Entwicklung.

Rechtzeitig eingestiegen ist jedenfalls Österreichs Pharma-Paradekonzern Immuno. „Mit dem Bau unseres Forschungszentrums in Orth haben wir bereits vor Jahren die Voraussetzungen geschaffen und uns auf dieses Gebiet spezialisiert”, meint der Leiter des Zentrums, Friedrich Dorner. Durchschlagenden Erfolg erhofft man sich nach dem FSME-Impf-stoff (gegen die „Zeckenkrankheit”) mit einem neuen, gentechnologisch hergestellten Hepatitis-B-Impfstoff. Andererseits setzt die Immuno voll auf das bereits entwickelte Konzept für einen Aids-Impfstoff und liegt damit im Rennen mit anderen Konzernen. Daß die 200 Wissenschaftler in Orth gentechnologisch so erfolgreich sind, liegt wohl auch an der optimalen Kooperation mit ausländischen Forschungsinstituten. „Als kleines Land mit beschränkten Mitteln und Ressourcen findet man hier schwer die geeigneten Leute—man muß hier alles erst implantieren”, meint Dorner.

Osterreich soll aber auch von der Ausbildung her mithalten können. Als Musterbeispiel gilt das neue Bio-Zentrum in Wien, das eine rege Zusammenarbeit zwischen Industrie, Wirtschaft und Universitäten ermöglicht,„aber auch zeigt, daß die Kooperation mit Behörden und öffentlichen Stellen hervorragend funktioniert”, so das Lob der in Wien ansässigen, auf Entwicklung und Produktion von Interferonen spezialisierten Boehringer-Ingel-heim-Tochter Bender. Der Betrieb fungiert als Geburtshelfer, Know-how holt man sich von der amerikanischen „Genentech”, einem der führenden Gentechnologie-Unternehmen. In diesem Zentrum, das 1988 mit rund 60 Wissenschaftlern eröffnet und auch einige Universitätsinstitute beherbergen wird, erhofft man sich unter anderem Fortschritte in der Krebstherapie oder Aids-Forschung.

Die Landschaft wird auch durch Repräsentanzen internationaler Pharmakonzerne belebt. So führt Eli-Lilly derzeit in Österreich klinische Prüfungen eines gentechnologisch erzeugten Wachstumshormons durch. Der derzeit bedeutendste Insulinproduzent der Welt beschäftigt weltweit 30.000 Mitarbeiter, davon über 3.000 in Forschung und Entwicklung.

österreichische Unternehmen sehen wenig Chancen, ein größeres gentechnologisches Projekt ohne Rückendeckung zu verwirklichen. Es fehlt an Risiko- beziehungsweise Venturekapital für solche Forschungen. Verschlingt doch ein solches Labor gewaltige Summen — und die Umsetzung in die Praxis ist besonders für kleinere Firmen schwer.

Für sie liegt daher nahe, „gene-tic engineering” einzukaufen oder Aufträge an Forschungsinstitute zu vergeben. Derart zielgerichtet sind die Arbeiten am international anerkannten Forschungszentrum Seibersdorf, das unter anderem gentechnologische Methoden entwickelt, um sie der Industrie zur Verwertung anzubieten. Derzeit arbeitet man an der Isolierung von „komplementärer DNS”, die zur Bestimmung viraler Pflanzenkrankheiten dient,und an der Entwicklung monoklonaler Antikörper, die bestrahlte Lebensmittel nachweisen sollen.

Die meisten heimischen Phar-mabetriebe beschränken sich auf ein kleines, selektives Gebiet, meist in Zusammenarbeit mit Universitäten. Diesen Weg beschreitet auch die Chemie Linz, die in erster Linie Fermentie-rungsversuche durchführt. Laufende Projekte beschäftigen sich mit dem Einsatz umweltverträglicher Pflanzenschutzmittel oder mit der Erzeugung von Biokatalysatoren, die aggressive Substanzen ersetzen und den Weg zur „sanften Chemie” ebnen sollen.

„Im internationalen Maßstab sind dies äußerst kleine Schritte”, gibt man sich hier vorsichtig. „Wir können nur Projekte behandeln, deren Umsetzbarkeit in die Praxis nahe erscheint.” Auf interdisziplinäre Ausbildung von Mitarbeitern in Amerika kann man nicht verzichten, „weil das europäische Hochschulsystem einfach nicht ausreicht”. Daß das positive Resultat einer Forschung noch keinen Profit bringen muß, liegt an der Enge des österreichischen Marktes. Internationale Vermarktung gelingt wenigen.

Leichter hat es das Wiener San-doz-Forschungsinstitut. Positive Ergebnisse, die sich zur Weiterentwicklung anbieten, werden in Zukunft an das mit viel größeren Möglichkeiten ausgestattete Stammhaus in Basel weitergeleitet.,, ,. — • _.. ä

Als historischer Erfolg gelang in den fünfziger Jahren der österreichischen Biochemie in Kundl die Herstellung von Oral-Penicil-lin. Die Lizenz wurde an Sandoz verkauft. Heute betätigt sich die mittlerweile weitgehend autonome Sandoz-Tochter als Fermen-tierungsspezialist mit gentechnologisch erzielten Methoden, etwa auf dem Antibiotika-Sektor oder bei den Waschmittel-Proteasen.

Um den Anschluß an die Entwicklung nicht zu verpassen, ist es für Österreich wichtig, sich an internationalen Aktivitäten zu beteiligen. Diese Meinung vertritt auch das Wissenschaftsministerium. Uber Teilnahme am biotechnologischen Programm der Europäischen Gemeinschaften wird verhandelt. Eine vielversprechende Möglichkeit bietet die Mitarbeit am Eureca-Programm, an dem sich die Immuno mit einem Fünf-Jahres-Projekt beteiligt. Sie hofft, daß sich die Investitionen langfristig bezahlt machen.

Versuche, ein Potential an Pharmafirmen und damit Investitionen nach Österreich zu ziehen, bahnen sich auch im Rahmen der ICD (Gesellschaft für Indu-strieansiedlung und industrielle Kooperation) an. Dies wird in Zukunft um so wichtiger sein, als weitere Förderungen im Bereich Biotechnologie, wie sie im Rahmen der „Technologiemilliarde” zwischen 1985 und 1987 vergeben wurden, fraglich sind.

Wie es weitergeht, zeigt sich vielleicht schon diese Woche beim Symposion in Bad Ischl, wo die österreichische Pharmaindustrie eingeladen ist, ihre Karten offen auf den Tisch zu legen.

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