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,Kleiner Bruder' lernt

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Die tschechische Geheimpolizei hat 3600 Bürger auf die Liste der „streng zu beobachtenden“ Personen gesetzt. Das wurde aus zuverlässiger Quelle bekannt. Von diesen Personen — es handelt sich um “Familienangehörige des Prager Frühlings 1968, aber auch um namhafte Kirchenvertreter — werden die ganze Korrespondenz überwacht und ihre Telephongespräche abgehört. Die Verhaftungen von Dubcek-Anhängern sogar bei den 30-Jahr-Feiern zeigt die neue Linie der KPC.

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Die tschechische Geheimpolizei hat 3600 Bürger auf die Liste der „streng zu beobachtenden“ Personen gesetzt. Das wurde aus zuverlässiger Quelle bekannt. Von diesen Personen — es handelt sich um “Familienangehörige des Prager Frühlings 1968, aber auch um namhafte Kirchenvertreter — werden die ganze Korrespondenz überwacht und ihre Telephongespräche abgehört. Die Verhaftungen von Dubcek-Anhängern sogar bei den 30-Jahr-Feiern zeigt die neue Linie der KPC.

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Die amtliche Angst vor dem politischen Einfluß der Kirche im Lande sowie der Exilorganisationen und Emigranten führte dazu, daß das ZK der KPTsch kürzlich nach Preßburg ein vertrauliches Seminar auf höchster Ebene einberufen hat, an welchem über die Bekämpfung der Einflüsse der Kirche und Emigranten beraten wurde.

In Auswirkung dieser in Preßburg geführten Geheimgespräche, zeigt sich die gegenwärtige Lage so:

Die Kirchenverfolgung in der CSSR nimmt immer schlimmere Formen an. Geistliche werden in großer Zahl inhaftiert, Schwestern in ihrer caritativen Tätigkeit gehindert. Die Bischöfe haben kaum noch Einfluß auf die Leitung der Kirche, weil sie wie die übrigen Geistlichen nur Angestellte der staatlichen Kirchensekretariate sind. Theologische Literatur, die in die CSSR geschickt wird, verfällt der Beschlagnahme. Der Empfänger wird von der Polizei verhört und nach angeblichen „Gegenleistungen“ befragt. Früher verurteilten Priestern, die unter Dub-

cek rehabilitiert wurden, wird jetzt erneut der Prozeß gemacht.

Ausgenommen von alledem ist nur jene kleine Gruppe von Priestern, die um beinahe jeden Preis Moskau vor Rom zu stellen bereit ist. Es gibt keine Klöster mehr und nahezu keine kirchliche Bildungseinrichtung. Die Kirche in der Tschechoslowakei sieht sich einem Druck ausgesetzt, der an die Wurzeln ihrer Existenz geht. Die zahlreichen Pfarrer, die in den letzten Monaten vom Prager Regime aus dem Kirchendienst entlassen wurden, verrichten heute jede Arbeit, um sich am Leben zu erhalten. Dabei haben diese verfolgten Priester nur eine begrenzte Wahl an alternativer Beschäftigung. Wer in der Tschechoslowakei das Opfer einer sogenannten „außergerichtlichen Verfolgung“ wird, ist oft viel schwerer betroffen als ein zu einer kürzeren Freiheitsstrafe Verurteilter. Ein Berufsverbot für Wissenschaftler, Ärzte, Schriftsteller und andere kommt einer Verurteilung auf Lebenszeit gleich.

Erst in den letzten Wochen hat der tschechoslowakische Staatssicher-

heitsdienst Hausdurchsuchungen bei zahlreichen bekannten Repräsentanten der politischen Opposition sowie bei Geistlichen aller Konfessionen und entlassenen Häftlingen durchgeführt. Die Hausdurchsuchungen wurden nicht auf Grund einer richterlichen Weisung angeordnet, sondern wurden auf Grund des neuen Gesetzes über die sogenannten „Rezidi-visten“ durchgeführt.

Trotz der brutalen Maßnahmen des Prager Regimes gegen politisch Andersdenkende ist offenbar Moskau mit den Methoden des tschechischen „kleinen Bruders“ nicht zufrieden. Besonders nicht zufrieden ist die Sowjetunion mit dem Vorgehen der tschechoslowakischen Gerichte gegen die „politischen Gegner des Sozialismus“. Als Folge davon wird in Prag auch die Reise einer Delegation führender Funktionäre der tschechoslowakischen Justiz und der Gerichte .unter Leitung des Vorsitzenden des ubersten Gerichts der CSSR, Josef Ondrej, nach Moskau gewertet. In Moskau sollen die CSSR-Richter offenbar mit den neuesten Erfahrungen ihrer sowjetischen Kollegen vertraut gemacht werden...

Nach dem Tod zweier deutscher Diplomaten in der deutschen Botschaft in Stockholm, nach aufgeflogenen Anschlagplänen gegen die österreichische Botschaft in derselben Stadt, nun ernst zu nehmende Drohungen anläßlich des bevorstehenden Baader-Meinhof-Prozesses. Jeder weiß: Der Anarcho-Vnter-grund schmiedet Pläne zur Befreiung seiner Häuptlinge. Jeder weiß: Er ist nach wie vor in der Lage, Gewaltakte großen Ausmaßes durchzuführen. Und jeder weiß: Er sucht sich seine Ziele nicht zuletzt auf Grund ihrer Verwundbarkeit aus. Jeder weiß, daß die deutschen Anarchisten auf die Weichheit der schwedischen Exekutive gehofft, sich darin auch getäuscht haben.

Wo werden sie es demnächst versuchen? Vieles spricht dafür, in Österreich besonders vorsichtig zu sein. Weil in Österreich erstens eine Fülle deutscher Institutionen, offizieller, halboffizieller und privater, lockt. Weil zweitens, wie man sich leicht ausrechnen kann, Terroristen auch von Österreich nicht gerade ein besonders hartes Zugreifen erwarten dürften (auch wenn sie sich darin täuschen).

Und was tut man? Offenbar nichts.

Sollte es hier zum Äußersten kommen, wird sich wohl wieder einmal Kanzler Kreisky etwas einfallen lassen. Was sich bei solchem Anlaß abspielen könnte, wäre zwar kabarettreif, aber viel zu ernst für jegliche Satire.

Wann wachen die Sicherheitsexperten dieses Landes auf — falls es welche hat? Wieder einmal post festum? Sie sollten sich schleunigst darüber klar werden, daß sich deutsche Anarchisten mit der Schließung eines Auswandererlagers und einem Freiflug in den Nahen Osten mit Sicherheit nicht begnügen würden.

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