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Kleiner zwischen Großen

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In dem komplizierten Schachspiel um die lateinamerikanische Hegemonie zwischen Argentinien und Brasilien spielt Paraguay die Rolle eines wichtigen Bauern. Der Vertrag, den der paraguayische Präsident, General Alfredt) Stroessner, Ende April hei seinem Besuch in Brasilia mit dem brasilianischen Präsidenten, General Emilio Garrastazu Medici, unterzeichnet hat, zeigt die geopolitischen Probleme der lateinamerikanischen Staaten.

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In dem komplizierten Schachspiel um die lateinamerikanische Hegemonie zwischen Argentinien und Brasilien spielt Paraguay die Rolle eines wichtigen Bauern. Der Vertrag, den der paraguayische Präsident, General Alfredt) Stroessner, Ende April hei seinem Besuch in Brasilia mit dem brasilianischen Präsidenten, General Emilio Garrastazu Medici, unterzeichnet hat, zeigt die geopolitischen Probleme der lateinamerikanischen Staaten.

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Das: größte Wasserkraftwerk der Welt soll als binationales Unternehmen ab 1974 für 2 Milliarden Dollar in Itaipü unter Ausnutzung des Wasserfalls Salto de Guarei im Fluß Paranä errichtet werden. Es sollen anfänglich 2 bis 4 Millionen, später 10 Millionen Kilowatt produziert werden. In Paraguay träumt man davon, 173 Millionen Dollar im Jahr aus dem Verkauf des Energie-Überschusses an Brasilien zu verdienen, wird aber aus Rio de Janeiro belehrt, daß man in Wirklichkeit nichts zu bekommen habe, weil der kleine Partner vorerst aus dem ihm zustehenden Gewinn seinen Anteil an der Finanzierung des Gemeinschaftsprojektes bezahlen müsse.

Vorher hatte Stroessner die Bitte des zukünftigen argentinischen Präsidenten Hector J. Cämpora abgelehnt, den Abschluß des Vertrages zu verschieben. Argentinien fürchtet, daß Brasilien ihm mit dem Bau des hydroelektrischen Werkes Wasser aus dem Oberlauf des Paranä entziehen werde, das es für die Schifffahrt und für eigene, ebenfalls gemeinsam mit Paraguay anzulegende Kraftwerke am Unterlauf benötigt. Außerdem steht hinter dem Konflikt, der um diese Frage entbrannt ist, die Besorgnis Argentiniens, durch den spektakulären Ausbau der brasilianischen Energieversorgung als Führungskraft Lateinamerikas endgültig überrundet zu werden.

Das wirtschaftliche und politische Eigengewicht Paraguays ist — wie jenes Boliviens und Uruguays — gering. Sein Einfluß reduziert sich darauf, daß Brasilien und Argentinien die Kleinen umwerben, um sie der Machtsphäre des jeweiligen Konkurrenten zu entziehen. Im übrigen bedingt die Isolierung das Schicksal Paraguays. Zwar können Ozeanschiffe bei günstigem Wasserstand den Fluß Paraguays bis zur Hauptstadt Asunciön herauffahren, wovon unter den europäischen Linien nur eine holländische Gebrauch macht, aber der Weg zum Meer steht unter argentinischer Souveränität. Die paraguayische Außenpolitik zielt darauf, das Land von der Abhängigkeit von Argentinien zu befreien. Der Bau der jetzt gepflasterten 500-km-Urwaldstraße zur „Brücke General Alfredo Stroessner“ und von der dortigen Grenze bis zum brasilianischen Hafen Paranagüa öffnet Paraguay einen zweiten Zugang zum Atlantik. In die gleiche Richtung deu-

tet der Vertragsschluß über den Bau des neuen Kraftwerkes mit Brasilien.

Im übrigen spielt Paraguay im interamerikanischen Konzert auf der konservativen Geige. Der Antikom-munismus Stroessners ist durch die Entspannungspolitik der USA und Westeuropas gegenüber Moskau und Peking nicht ins Wanken geraten.

Stroessners Herrschaft über Paraguay ist so gut wie unangefochten. Mit allen Mitteln der Propaganda wird dem Volke die Identität von Staat und Staatschef eingehämmert. Im Zentrum der sehr sauberen und baumreichen Hauptstadt über der „Plaza de los Heroes“ leuchtet Lichtreklame in grüner, roter und blauer Farbe auf: „Frieden, Arbeit und Wohlstand mit Stroessner.“ An den Landstraßen prangen große rote Schilder mit weißer Inschrift: „Die Zukunft ist unser, mit Stroessner 1973 bis 1978.“ Der Flugplatz, Brük-ken, Straßen, Stadtteile führen seinen Namen. Er ist seit 1954 an der Macht und hat seine Amtszeit bis 1978 verlängert. Auch seine Gegner erkennen an, daß die Alternative zu seiner verschleierten Diktatur unter den heutigen Umständen das Chaos wäre.

Ein Vizepräsident der „Liberalen Partei“, Dr. Waldino Riveros, versicherte, die Oppositionsparteien seien seit 1972 wieder ans Tageslicht gelassen worden. Nach der herrschenden Verfassung stellt die Regierungspartei der „Colorados“ ohne Rücksicht auf den Wahlausgang stets zwei Drittel der Parlamentarier, während die Opposition ein Drittel besetzt.

Vor Stroessner spielte der „Partido Revolucionärio Febrerista“ eine interessante Rolle. Diese Gruppe — mit einer beachtlichen Führerschicht, aber keinerlei Gefolgschaft — hatte. Wahlenthaltung proklamiert. Die „Christdemokraten“ konnten die 10.000 Unterschriften nicht aufbringen, von denen ihre Eintragung in das Wahlregister abhängt.

Ein Besuch in den Parteilokalen spiegelt die Realität wider. Der „Partido Liberal“ haust in einem uralten, halb zerfallenen Gebäude, in dem sich ein Dutzend Parteigänger langweilen. Dagegen ähnelt der moderne Zweckbau des „Partido Colorado“ einem Ameisenhaufen. Hunderte meist junger Leute bevölkern den großen Hof. Zwar sichert ihnen die Parteizugehörigkeit noch nicht einen Platz im Erwerbsleben, aber sie verbessert ihre Chancen.

Paraguay ist ein Land der Jugend; aber es ist eine Jugend mit wenig Hoffnungen. Zwar wird der Kampf gegen das Analphabetentum mit Energie betrieben, aber gegen die Arbeitslosigkeit und die Auswanderung hilft nur ein echter Auf-

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schwung? den man nicht vorauszusagen vermag.

Das Schulwesen ist inzwischen so ausgebaut worden, daß nicht das Fehlen von Lehrstsätten, sondern — vor allem im Innern — weite Entfernungen und soziale Not, Mangel an Kleidung und Schulbüchern, zur Schulflucht führen. Freilich lernen die Jugendlichen Lesen und Schreiben beim Militär, wo sie auch in vielen Handwerksfächern ausgebildet werden.

Der gesetzliche Mindestlohn von 8000 Guaranies im Monat wird von der Industrie und im Handel respektiert, sonst aber von Arbeitslosen in einem alarmierenden Grade unterboten. Das Durchschnittsgehalt eines Beamten liegt bei 20.000 Guaranies. Die hübschen Mädchen, die in grauen Miniröcken und kleidsamen Käppis Dienst als energische Verkehrspolizistinnen tun, verdienen die Hälfte, ein Universitätsprofessor 50.000.

Zumal die Paraguayer ungewöhnlich genügsam sind und sich ihre soziale Situation in den letzten Jahrzehnten gebessert hat, beschweren sie sich weniger über das Lohnniveau, als über das Fehlen von Arbeitsmöglichkeiten. Nur der hohe Grad familiärer Solidarität erleichtert die Situation. „Wenn in einer siebenköpfigen Familie zwei verdienen, kommen sie durch“, sagte mir ein Arzt.

Ein europäischer Beobachter würde aus der sozialen Situation auf eine latente Revolutionsgefahr schließen. Tatsächlich besteht aber eine solche nicht. Die Masse des Volkes ist in erstaunlichem Ausmaß autoritätsgebunden. Diese Situation erklärt sich nicht nur aus dem Volkscharakter und dem vordringlichen Kampf um das tägliche Brot, sondern auch aus dem Klima. Im Sommer — von Dezember bis Februar — ist es unerträglich feucht-heiß.

Vom Volke, das Stroessner respektiert, droht dem Regime keine Gefahr, aber auch nicht von anderer Seite. Die Parteien sind gebändigt. Die einzige echte Oppositionszeitung „El Radical“ steht unter Vorzensur. Die Studentenschaft, in der ganzen Welt und besonders in Lateinamerika ein Gärstoff, ist neutralisiert.

Ihre Mehrheit, die aus dem unteren. Mittelstand kommt — einen höheren gibt es in Paraguay nicht — unterstützt stillschweigend das Regime, weil sie Stipendien und Staatsstellungen braucht.

Da Stroessner die Situation vollkommen beherrscht, ist es schwer verständlich, warum er eine ungeklärte Zahl, etwa hundert, politische Gefangene ohne ordentliches Gerichtsverfahren zum Teil seit Jahren in Polizeikommissariaten verkommen läßt. Nach seiner Ansicht kommt es den Kommunisten nicht zu, Ansprüche im Namen der Menschenrechte zu stellen, da sie selbst bei der Verfolgung ihrer ideologischen Ziele die Menschenrechte nicht respektieren.

Bei dieser Sachlage ist an der Stabilität des Stroessner-Regimes nicht zu zweifeln. Darüber hinaus bleibt die Frage, ob sich die wirtschaftliche Situation der Masse, besonders in bezug auf die Arbeitslosigkeit verbessern läßt. Dabei begegnet man in Paraguay einem Teufelskreis, den man — abgesehen von Brasilien und Venezuela — in ganz Lateinamerika vorfindet. Die privatkapitalistische' Industrialisierung scheitert an dem unzureichenden Markt infolge fehlender Kaufkraft und diese wieder ergibt sich aus den mangelnden Arbeitsmöglichkeiten.

Die Ankurbelung der Wirtschaft durch die öffentliche Hand setzt Uberschüsse des Staatshaushaltes voraus. Ein chronisches Übel der paraguayischen Staatswirtschaft ist der private Schmuggel, mit dem 50 Prozent der Zölle hinterzogen werden. Hiebei spielen die Offiziere, auf die Stroessner angewiesen ist, eine beachtliche Rolle, obwohl auch in der Beamtenschaft Bestechung üblich ist. Steuermoral fehlt. So kommt es, daß nicht die Hälfte der im Etat vorgesehenen Einnahmen wirklich eingeht.

Die derzeitige Steigerung der Rohstoffpreise, besonders für Fleischprodukte und öle, mag die finanzielle Situation des Landes zeitweise erleichtern, kann aber nicht zu einer entscheidenden Besserung der Verhältnisse führen.

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