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Klestil und die falsche SP-Rechnung

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Erinnern wir uns zurück: Als Thomas Klestil nominiert wurde, herrschte die weitverbreitete Überzeugung, daß jemand, der hinsichtlich seines Be-kanntheitsgrades weit hinter Heide Schmidt rangierte, auch im ersten Wahlgang schlechter als diese abschneiden würde, sodaß in der Stichwahl Rudolf Streicher gegenüber Schmidt ein leicht erringbarer Sieg sicher wäre. In der Tat bangten auch viele Ö VP-Sympathisanten darum, ob Klestil überhaupt die Stichwahl erreichen würde; auf einen Wahlsieg wagten sie gar nicht zu hoffen.

Trotz hoher finanzieller Aufwendungen verlief die Wahlwerbung -verglichen mit früheren Bundespräsidentenwahlen - eher ruhig und berührte den Wähler nicht sehr tiefgehend. Dieses Faktum erwies sich als nicht unwichtig: Die Wähler des ersten Wahlganges ließen sich eher von einem allgemeinen Eindruck, als von einer detaillierten Gegenüberstellung der Plus- und Minuspunkte, die für oder gegen den einzelnen Kandidaten sprachen, leiten.

Der entscheidende Faktor

Um es gleich vorwegzunehmen: Hier liegt meines Erachtens der entscheidende Faktor. Die SPÖ hatte übersehen, daß sie mit der Personenfolge Renner-Körner-Schärf-Jonas-Kirchschläger ein ganz bestimmtes Persönlichkeitsbild für den österreichischen Bundespräsidenten aufgebaut hatte, das Bild des honetten, soliden Beamten, der bis zum Zeitpunkt seiner Kandidatur zwar durch korrekte Arbeit und stete Pflichterfüllung, aber durch keinerlei spektakuläre Einzelaktionen aufgefallen war, und dem man allseits Vertrauen entgegenbringen kann.

Dieser Faktor gewann umso größere Bedeutung, als das Lagerdenken früherer Zeiten heute in Österreich kaum mehr gegeben ist. Diese Abkehr vom Lagerdenken wurde von der SPÖ nicht ausreichend eingeschätzt. Alle Persönlichkeiten, die Erhard Busek der SPÖ als gemeinsame Kandidaten vorschlug, wurden in der Gewißheit abgelehnt, daß der Papierform nach der Abstand der Wählerstimmen zwischen SPÖ und ÖVP heute größer sei als er es zu Zeiten des knappen Vorsprungs von Kurt Waldheim über Kurt Steyrer war, daß also jeder beliebige Kandidat, den die SPÖ nominieren würde, die Wahl gewinnen müsse. Den höchsten Bekanntheitsgrad (und Beliebtheitsgrad!) nach Vranitzky hatte Streicher, ergo müsse für ihn das Rennen gelaufen sein.

Haider sprang auf Zug auf

Der Geniestreich Erhard Buseks, als alle Versuche, einen gemeinsamen Kandidaten aufzustellen, gescheitert waren, bestand nun darin, dem jugendlich wirkenden, Tennis spielenden Managertyp Streicher in Thomas Klestil genau jenen Typus gegenüberzustellen, den - siehe oben! - die SPÖ über Jahrzehnte hinweg aufgebaut hatte. Danach war es nur noch notwendig, Klestil „herzuzeigen", sein Erscheinungsbild, sein Auftreten, seine Stimme jedem Wähler bewußt zu machen.

Nach dem 26. April ließ die Papierform alles offen: Teilte man die Schmidt-Wähler im Verhältnis 1:2 auf Streicher und Klestil auf, die Jungk-Wähler umgekehrt im Verhältnis 2:1, so ergab sich für den zweiten Wahlgang ein Erwartungswert von genau 50:50 zwischen Streicher und Klestil. In der Tat zeigte auch die von Erich Neuwirth durchgeführte Wählerstromanalyse, daß die FPÖ-Wähler ungleich stärker zu Klestil als zu Streicher tendierten: Von 100 FPÖ-Wählern der Nationalrats wähl 1990 wählten im ersten Wahlgang 68 Heide Schmidt, 14 Klestil, jedoch nur einer Streicher. (Der Rest wählte diesmal nicht.) Jörg Haider sprang mit seiner späteren Wahlempfehlung also nur auf den ohnehin Richtung Klestil fahrenden FPÖ-Zug auf.

Diese Wählerstromanalyse zeigt noch ein interessantes Detail: Von 100 SPÖ-Wählem des Jahres 1990 gaben am 26. April 85 Streicher ihre Stimme, zwei Klestil, fünf Schmidt, einer Jungk; nur sieben gingen im ersten Wahlgang nicht zur Wahl. Das Nichtwählerpotential aus den eigenen Reihen war also für die SPÖ denkbar gering.

Noch etwas Entscheidendes geschah am 26. April: Gemäß der merkwürdigen Logik des Österreichers, der Wahlen nie nach dem tatsächlichen Ergebnis, sondern nur nach eingetretenen Verschiebungen hin beurteilt, ging Streicher in den Augen der Öffentlichkeit nicht als Sieger, sondern deshalb als Verlierer hervor, weil er mit den erreichten 40,7 Prozent hinter den erwarteten 44 bis 45 Prozent zurückgeblieben war, Klestil jedoch mit 37,2 Prozent als strahlender Sieger. Dies löste einen außerordentlich stark fühlbaren Bandwagon-Effekt („Mitläufer-Effekt") aus, während der reziproke Underdog-Effekt („Mitleidseffekt") für Streicher weitgehend ausblieb. Daß der Underdog-Effekt ausblieb, der in anderen Konstellationen den Bandwagon-Effekt durchaus zu übertreffen vermag, dürfte auch auf das offene Geheimnis zurückzuführen sein, daß Streicher nur mit größter Mühe zur Annahme der Kandidatur zu bewegen gewesen war.

Auch mag die von der SPÖ bis 1970 stets propagierte Gleichgewichtsparole (wenn schon schwarzer Bundeskanzler, dann roter Bundespräsident) nunmehr unter umgekehrten Vorzeichen für manche der rund zwei Millionen Wähler, die im April weder Streicher noch Klestil ihre Stimme gegeben hatten, wahlentscheidend gewesen sein, auch wenn es die ÖVP peinlich vermieden hatte, diese Parole in den Vordergrund zu stellen.

Also lauter Sieger?

Ferner dürfte Haiders wohldurchdacht formulierte Äußerung, daß Vranitzky auch diese Wahl verlieren würde, stärker pro als kontra Klestil gewirkt haben. Um aus Haiders doppelter Negation eine dreifache zu machen: Haiders abschließender Satz, es soll nun keiner sagen, daß dies keine Wahlempfehlung war, dürfte nur auf wenige negativ gewirkt haben.

Das Wahlergebnis vom 24. Mai hat - unter anderem - die nur auf den ersten Blick überraschende Konsequenz, daß alle drei Parteiführer nunmehr fester im Sattel sitzen denn je: Neben Vranitzky gibt es in der SPÖ-Führung nun niemand mehr, der ihm seine Position streitig machen könnte; Erhard Busek hat mit dem überwältigenden Wahlsieg Thomas Kle-stils nicht nur seiner Partei ihr Selbstbewußtsein wiedergegeben, sondern durch den Erfolg „seines Kandidaten" auch einen großen persönlichen Erfolg errungen, und Haider kann für sich in Anspruch nehmen, durch seine verklausulierte Äußerung zwischen den beiden Großparteien erfolgreich mitgemischt zu haben. Also lauter Sieger? Die Zukunft wird's weisen.

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