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Klestil wurde die Latte hoch gelegt

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Das parteitaktische Tauziehen vor Augen, mit dem ein neuer italienischer Staatspräsident in 16 quälenden Wahlgängen gekürt worden ist, weiß man die demokratische Volkswahl des Staatsoberhauptes besonders zu schätzen: Sie verleiht dem ersten Mann im Staat ungleich mehr Autorität und Unabhängigkeit, befreit ihn davon, ein Kompromißprodukt der Parteien zu sein. Das hat Thomas Klestil seinem Amtskollegen Oscar Luigi Scalfaro voraus.

Zu diesem elementaren Baustein der politischen Kultur des Landes hat auch die Wahlkampagne selbst einen wichtigen Beitrag geleistet. Sie hat aufgezeigt, daß man auch werben und um den Erfolg kämpfen kann, ohne daß -gut wienerisch gesagt - die Fetzen fliegen, ohne Haxelbeißerei und ohne den Konkurrenten herunterzumachen, um selbst besser dazustehen. In dieses Lob gehören ausdrücklich auch nochmals die Mitbewerber des ersten Wahlganges - Heide Schmidt und Robert Jungk - miteinbezogen.

Mit dem Straßenbahnersohn zieht nun jener Mann in die Wiener Hofburg ein, der letztlich mit dem weniger konservativen Amtsverständnis geworben hat, obwohl das traditionelle Anforderungsprofil für ihn maßgeschneidert wirkt: die Rolle auch als „erster Botschafter des Landes", dessen Internatio-nalität für die bewegten Jahre des Wandels und der historischen Entscheidungen eindeutig mit Vorzug bedacht worden ist.

Dem persönlichen Erfolg folgt ein Erwartungsdruck. Thomas Klestil wurde mit seinem überragenden Vertrauensvorsprung die Latte sehr hoch gelegt. Vor dem Hintergrund der Erwartungshaltungen ist Klestil bereits bei seiner Antrittsrede am 8. Juli herausgefordert.

Vor 35 Jahren war Adolf Schärf der erste Bundespräsident, der nach seiner Angelobung über patriotische Bekenntnisse hinaus in ersten Ansätzen programmatische Aussagen gemacht hat. Für Klestil geht es darum, seinem neuen Amtsverständnis prägende Konturen zu geben. Schon dafür gilt, was sich der Kandidat Klestil vorgenommen hat, „an den Dingen nicht vorbeizureden".

Klestil ist den Österreichern als aktiver Bundespräsident im Wort, das große Vertrauen ist mit besonderer Verantwortung verbunden. Als erster Mann im Staat vor allem auch gegenüber der „benachteiligten Mehrheit" (Klestil) der Frauen, die jetzt auf ihn zählen: „Ich würde mein Amt als Bundespräsident dazu nutzen, daß dem Problembewußtsein auch die Taten folgen, die wir den Frauen schon zu lange schuldig sind." Mit dem 24. Mai hat sich dies in der Möglichkeitsform überholt.

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