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Klimatheater am Bodensee

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Wenn Beethoven im Theater an der Wien in der Winter- saison konzertierte, mußten die glü- hendsten Adoranten Pelzmäntel an- ziehen, um nicht mit Zähneklap- pern die Weihe des Hauses zu stö- ren. Seither sind wir in allen Thea- tern längst klimatisiert, weshalb dem unklimatisierbaren Klima- theater der Freiluftbühnen alleror- ten das Interesse zufliegt. Aber viel- leicht ist keiner Nachfolgerin die- ser antikischen Bühnentradition ein so schönes Panorama beschieden wie den Bregenzer Festspielen mit ihrer Bühneninsel am Bodensee.

Manchmal freilich beansprucht das Klimatheater sein Recht, mit Platzregen, mit Donner und Blitz, einziger Inhalt des dramatischen Geschehens zu sein. Für eine Opern- aufführung geht dies entschieden zu weit. Hat man aber Glück, so bescheidet sich das Klimatheater auf eine wunderbare Farbouvertü- re, auf einen Sonnenuntergang vom Apfelgrün bis zum Purpurrot. Um diese Farbsymphonie der natürli- chen Lichtbrechungen ganz auszu- kosten, nehme man seinen Platz möglichst frühzeitig ein. Denn mit dem ersten Takt der Ouvertüre zum „Fliegenden Holländer" bricht über einem die ganze Komplexität die- ser Inszenierung herein und läßt keine Abschweifung mehr zu. Auf den ersten Blick nimmt sich der Bühnenaufbau mit seinen Dampf- und Windrädern, mit seinen Spu- lengattern für die Spinnerei wie eine jener Apparatephantasien von Chrom und Nickel aus, mit denen Künstler der Pop-Art beweisen, wie wenig sich im Maschinenwesen der Leerlauf von der Produktion un- terscheidet. Beide erzeugen Mas- senartikel der Absurdität.

Im Kontrast zu diesem Mittel- stück, zur Technologie des Sinnlo- sen, tauchen links aus den Tiefen des Bodensees ein Konzertflügel und eine Chaiselongue empor, während rechts ein düster verhan- gener Klotz herbeischwimmt, ein Grabmal im Regenmantel. Das Triptychon ist somit komplett: Senta und der Holländer als zwei Seitenflügel des Mittelstücks tech- nischer Betriebsamkeit.

Nun ist es jedem klar, daß es in diesem Triptychon auch zu einer Kreuzaufrichtung kommen wird und muß. Wer sich von der Musik nicht weiter stören läßt, kann nun mit Spannung erwarten, wann das Kreuz als Schiffsmast frontal und zentral zum Beschauer aufgerich- tet werden wird. Indessen steht es bei der linken Saloninsel Sentas dem Betrachter frei, an das liquide Medium der Seele oder an den bürgerlichen Sumpf von Sentas materialistischem Vater zu denken. Bei jedem ihrer Auftritte spritzt das Wasser nach allen Seiten. Be- greiflicherweise strebt sie einer höheren Dimension zu, der Spitze des Leuchtturms, der wie ein Aus- rufungszeichen die Idee des Büh- nenbilds apostrophiert. Mit den symbolischen Farblichtern seiner Fensterluken zwinkert er bald ver- ständnisvoll, bald sibyllinisch vor- ausweisend der Handlung zu.

Auf ihrer Chaiselongue Heinrich Heines Fassung der Holländerfa- bel lesend, ist Senta zunächst ein Blaustrumpf, bekommt aber später durch und durch blaue Füße, weil ihr vom Regisseur das Kneippsche Wassertreten - angeblich eine Kur gegen Hysterie - zweieinhalb Stun- den lang verordnet wird. Die unte- ren Partien ihres knöchellangen, ro- ten Samt-Kleides lassen durch die Farbveränderungen erkennen, wie hoch die dramatische Spannung ge- diehen ist. Patschnaß liegt sie dann, rücklings und singend, auf dem Erard-Flügel, dem Lieblingsinstru- ment Richard Wagners, das er für sich aus Paris kommen ließ. Dem Holländer geht es, was die Was- sertherapie anlangt, um nichts bes- ser, weshalb er den Frosch im Hals hat und es nicht verhindern kann, daß auch dieser mitsingen will.

Wieso ist es möglich, daß solch ungesunde Inszenierungen vom Gewerbeinspektorat überhaupt zugelassen werden? Oder ist hier eine Lücke im Sozialstaat? Offen- sichtlich! Denn es sind vier Sentas notwendig, um die Juli-August- Aufführungen einigermaßen sicher zu stellen. Ein besonderer Akt der Grausamkeit ist es, die Wiener Symphoniker in eine Konserve wasserdicht zu verlöten, um sie dann mit Verstärkern in Blech- trommler zu verwandeln, bei denen der ganze Streicherklang kaputt geht. Mit solchen Menschenopfern (eine Senta hat sich schon die Hand gebrochen) gelingt der Technik Unerhörtes: Des Holländers Erlö- sungschancen sind feinsinnigst auf Sentas Konzertflügel abgestimm'.: Das Holländer-Schiff entpuppt sich als vierschrötiger Kubus mit neun Fensterluken pro Seite, was vier mal neun Verrenkungsakrobaten die Möglichkeit gibt, die Verzweif- lung in einer frühkapitalistischen und positivistisch werdenden Ge- sellschaft zu demonstrieren.

Wenn Richard Wagner jetzt abendlich und nächtlich seinen Seelen Wanderweg über den Boden- see zurücklegt, eine Route, die ihm seit seiner Flucht von Dresden nach Zürich (1849) durchaus bekannt ist, wird er ob dieses virtuosen Spekta- kels innehalten und als Theater- praktiker, der er ja auch gewesen ist, schmunzelnd zusehen, wie es hier gelingt, allabendlich in einer 4000köpfigen Menschenmenge ein Gefühl dafür zu wecken, inwiefern das Klimadrama „in Gewitter und Sturm, auf fernem Meer" eine der Urbefindlichkeiten in der Odyssee des Menschen darstellt. Ja sogar das Bedürfnis nach einem Ballett: Es gibt ein Ballett computergesteu- erter Lichtpunkte und Lichtfinger, denen die Gelsen zu gehorchen scheinen, einen Schleiertanz der Nebel, die aus dem Klavier empor- wallen, und ein Ballett der Wasser- wogen und Wasserflächen, die sich gegeneinander abstützen, denn der Bodensee wird bodenlos.

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