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Klischeefiguren und Menschen

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Neue Stücke lassen immer wieder mit Spannung erwarten, welche Sicht sich auf das heutige, so überaus komplexe Leben ergibt. In den beiden weiteren während der laufenden Festwochen aufgeführten neuen Bühnenwerken zeigt sich stärkster Gegensatz: Ein renommierter Dichter enttäuscht, ein Routinier der Bühne bietet Subtiles. Doch Zeitbezug haben beide.

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Neue Stücke lassen immer wieder mit Spannung erwarten, welche Sicht sich auf das heutige, so überaus komplexe Leben ergibt. In den beiden weiteren während der laufenden Festwochen aufgeführten neuen Bühnenwerken zeigt sich stärkster Gegensatz: Ein renommierter Dichter enttäuscht, ein Routinier der Bühne bietet Subtiles. Doch Zeitbezug haben beide.

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Es wurde von Attacken gegen die Kunstprominenz der Salzburger Festspiele gesprochen, die es in dem neuen Stück „Die Berühmten“ von Thomas Bernhard gäbe, das im Theater an der Wien zur Uraufführung gelangte. (Siehe auch FURCHE Nr. 24.) Aber die Anspielungen erwiesen sich als keineswegs besonders aggressiv, Buh und Pfiffe bei der Premiere hatten andere Ursachen.

Da tafeln Prominente des Theaters, sowie eine Pianistin und ein Verleger in vier Szenen an einem langen Tisch, in einer Reihe sitzen sie in Lehnstühlen und reden, reden, reden, den ganzen Abend lang. Worüber? Abträgliche Bemerkungen fallen über den Kunstbetrieb, über die Kunstvermarktung. Unentwegter, zum Teil bissiger Tratsch ergibt sich, wie es so üblich ist.

Die Gipspuppen ihrer Vorbilder, die zwischen ihnen sitzen, zerschlagen sie ohne viel Aufhebens. Billiges Sinnbild ihrer Loslösung von ihnen. Am Schluß tragen alle Tiermasken. Sie sind, so wird dies vom Regisseur interpretiert, durch den Kunstbetrieb „aufs Tier gekommen“. Es ist tatsächlich so gemeint. Aus diesem Gag spricht eine ebenso falsche, wie arg primitive Auffassung von den Tieren, die sich schon gar nicht auf die Kunstroutiniers anwenden läßt. So primitiv ist das ganze Stück, eine Orgie an Gemeinplätzen, die nur langweilt. Daher die Ablehnung durch einen Teil des Publikums. Zur Satire fehlt alles. Peter Lotschak inszenierte das dauernde Gerede recht feierlich. Am meisten redet und redet Horst Christian Beckmann-als- Bassist. Gian Maurizio Fercioni entwarf wirksame Bühnenbilder. *

Tag für Tag überfluten uns Nachrichten von Greueln aller Art, sind da wertvolle menschliche Eigenschaften überhaupt noch darstellbar? So, daß wir daran glauben? Es ist möglich — fast staunt man darüber —, wie Axel von Ambesser in seiner ersten Komödie „Begegnung im Herbst“ beweist, die derzeit im Theater in der Josef Stadt aufgeführt wird.

Andrea, die jüdische Kunststudentin, emigrierte, weil sie es vermied, Ferry, der sie heiraten wollte, durch eine Ehe im Dritten Reich zur Last zu fallen. Nun treffen sie sich nach Jahrzehnten zufällig wieder, es war unverkennbar beider große Liebe, er blieb ehelos, sie ist nicht recht glücklich verheiratet. Wie sich dieses neue unvermutete Zueinander in drei Akten abspielt, das hat den Reiz des Schwebenden, sehr zarter menschlicher Beziehungen. Und als sich Andrea wieder von Ferry löst, geschieht es aus dankbarer Gewöhnung an den nicht eigentlich geliebten Gatten. Wirkt das verlogen? Die meisten Menschen tun heute alles Gefühl, seelische Behutsamkeit, Herzenstakt verächtlich als Sentimentalität ab. Ambesser gefährdet allerdings das Stück durch Langatmigkeit und gelegentlich zu starkes Ausspielen des Gefühls.

In den beiden Hauptrollen erweisen sowohl Hilde Krahl wie Axel von Ambesser, der auch Regie führt, etwas Seltenes: den Charme alternder Menschen. Weitere Mitwirkende sind Helly Servi und Carl Bosse, von Gottfried Neumann-Spallart stammen die milieugerechten Bühnenbilder. Korl Maria Grimme

Das Schauspiel um den jungen Volks- und Soldatenkönig Heinrich V., um den Eroberer der Nor-mandie, der dann die Hand der französischen Königstochter gewann, gehört zu den wenig gespielten Shakespeares. Daß aber eine beeindruckende Aufführung möglich ist, bewies nicht nur seinerzeit das Burgtheater, beweist unter dem Originaltitel „Henry V“ bei den derzeitigen Wiener Festwochen im Theater an der Wien die „Royal Shakespeare Company“, London.

Wie spielen sie Shakespeare? Dieses Stück? Die Bühne ist von vier metallenen Fachwerktürmen flankiert, bleibt ansonsten leer. Vor Beginn sind die Darsteller in Pullovern bereits auf der Bühne, unterhalten sich mit den Zuschauern in den ersten Reihen, erst allmählich treten Kostümierte auf. Der „Chorus“ aber trägt weiter Gegenwartsgewand, bleibt zeitweilig auch während des Spiels anwesend, dokumentiert damit das Stück als Spiel. Es gibt kaum Versatzstücke.

Die Darsteller sprechen oft frontal zum Publikum, außer in den Kriegs- und Rüpelszenen, sie sprechen vorzüglich akzentuierend und fast stets überlaut. Unter der Regie von Terry Hands ergibt sich vorwiegend imposante Vordergründigkeit, perfekt, ja, mit Verve ausgespielt. Farrah entwarf gleich wirkungsvoll die prunkvollen Kostüme wie die der verwahrlosten Soldateska. Alan Howard ist ein impulsiver Heinrich V. Wieder erweist sich die reizvolle Schlußszene zwischen dem Herrscher und der französischen Königstochter als dem Stück allzusehr nur aufgesetzt. K. M. G.

Als Theater der Opposition sind die Kellerbühnen entstanden, als künstlerische Werkstätten, in denen sich die experimentelle Dramatik formen und vorstellen kann, in denen gegen'Lebenslüge, geistige Trägheit und geaen alle Formen der Unmenschlichkeit angekämpft wird. Daran ist zu erinnern angesichts der Premiere von neun Kurzszenen unter dem Titel „Blitzlichter“ im Theater am Belvedere. Denn hier entspricht eine Kellerbühne den ursprünglichen Zielsetzungen ganz und gar.

Karl Maria Grimme, der nun zum drittenmal als Dramatiker hervortritt, will besonders charakteristische Episoden der Gegenwart möglichst wahrheitsgetreu und ungekünstelt auf die Bühne bringen. Er will unmittelbar sein im Sinne eines strengen Realismus. Er will aber offenbar auch entlarven und opponieren.

Diese humanistische Kampfbereitschaft richtet sich gegen die Verherrlichung von Gewalt in manchen Zeitungen und Filmen; gegen den Terror, der die Freiheit des Menschen einschränken oder vernichten will; gegen die dumpfe Mordlust, die auch scheinbar recht friedliche Menschen erfassen kann; gegen die Unmenschlichkeit der Diktatoren. Grimme wendet sich gegen eine Gesellschaft, die im zwischenmenschlichen Bereich den gewaltsamen Wettbewerb, den Kampf aller gegen alle für einen natürlichen Zustand hält und also auch andere Formen der Gewalt, nämlich, die des bewaffneten Terrors, als unvermeidlich hinnimmt.

In den neun Szenen sehen wir, wie ein Bankraub vorbereitet wird; ein Mord aus purer Mordlust wird untersucht, politische Erpressung wird dargestellt. Zwei junge Frauen unterhalten sich über Gewalt, ein Arbeiter philosophiert über die Schuld der Kriegshetzer und Diktatoren, ein Hofrat spielt mit der Idee, mit der mörderischen Mode mitzumachen.

Irimbert Ganser hat die Szenen einfach und eindringlich auf die enge Bühne gebracht. Aus dem kleinen Ensemble sind Erika Santner, Hubert Tscheppe und Roland Knie besonders zu erwähnen.

Die einzige allerdings fundamentale Schwäche des Abends entspringt der Illusion, man könne die nackte Wirklichkeit unmittelbar, ohne Umsetzung, gleichsam kopierend auf die Bühne bringen. Auch die eo ipso realistische Technik des Films oder der Tonbandmontage kann der Wirklichkeit nur zu Leibe rük-ken, indem sie von ihr abrückt, indem sie das Reale in aller Künstlichkeit als etwas Realistisches gestaltet. Die meisten Szenen aber beschreiten diesen notwendigen Umweg nicht und wirken also vor allem sprachlich etwas bläßlich. Dennoch erscheint uns dieser Theaterabend wichtig: hier, im Keller, in der Tiefe der Katakomben, reift der Widerstand gegen die Entmenschlichung durch Gewalt.

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