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Klug sein wie Schlangen

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Man macht es sich zu leicht, wenn man die Entchristlichung der Kulturkritik, seit alters her auch Feuilleton genannt, irgendwelchen bösen Mächten in die Schuhe schiebt...

Wer war schuld? Ich gebe die Antwort: Wir, und meine damit die konservative Publizistik, die im alten Sinne liberale Publizistik, die gläubig-katholische Publizistik, die gläubig-evangelische Publizistik. Wir haben die breite, scheinbar abgesicherte Entfaltung christlicher Gedanken und Gestaltungen in den fünfziger Jahren für zu selbstverständlich gehalten, und wir waren ratlos, hilflos, als dann massiv die große Aufklärungs-Offensive einsetzte.

Wir haben uns bis heute nicht davon erholt. Dabei ist die Machtübernahme selbst kampflos vor sich gegangen, schleichend, mit leiser Personalpolitik, der Bruder den Bruder nachziehend, über passend eingerichtete Journalistenschulen, und mit dem Versprechen, daß Schick, Charme und Erfolg nur auf diesem Wege zu holen sei.

In einer Demokratie gibt es keine Ausrede; wenn der eine vom anderen untergebuttert wird, und für die Einrede, daß die anderen eben raffiniert, ja perfide vorgegangen seien, hat das Evangelium die Antwort bereit, das uns empfiehlt, nicht nur einfältig wie die Tauben, sondern auch klug wie die Schlangen zu sein.

Mit Recht hat Walter Jens in seinem Vortrag an die Doppelschlacht um den „Stellvertreter" und die „Ansichten eines Clowns" erinnert. Skandale, Proteste, Empörung, aufgestörtes Kirchenvolk, dabei blieb's. Dem vordringenden Exhibitionismus wurde die Aktion „Saubere Leinwand" entgegengesetzt, Kapläne und Jungmannen zogen vor Filmtheatern auf, konnten aber bis zur nächsten fälligen Entblößung unmöglich davor stehenbleiben.

Auch der Klerus war unge-wappnet, das muß ebenfalls gesagt werden, wobei jeder Pfarrer, befragt und getadelt, darauf hätte hinweisen können, daß in seiner Ausbildung von Literatur nie die Rede war.

Es war eine Niederlage, und Niederlagen sind dazu da, daß man aus ihnen lernt. Ich will hier einige mögliche Lehren aus der Niederlage vorstellen, zuvor aber sagen, welche Art von Reaktionen ich für falsch halte.

Falsch ist, was ich die „punktuelle Empörung" nennen möchte, also das Anstoßnehmen an einem besonders krassen Fall von religiöser oder sexueller Tabuverletzung. So verständlich die Empörung, das Hochgehen der Wogen ist, sie bringt nichts als das Auftrumpfen der anderen Seite, da werde wieder Zensur geübt, die Freiheit der Kultur sei bedroht, gegen die aufrechten Verfechter der Freiheit und Demokratie werde eine Hexenjagd veranstaltet und so weiter. Die Empörung legt sich, folgenlos, und beim zweiten Fall ist sie schon um ein weniges geringer.

Falsch ist das Arbeiten mit den alten Klischees vom Typ Sittenverderbnis oder schlimmer, weil nazinah, Entartung. Die Sitten haben sich tatsächlich so gründlich verändert, daß auch die Norm dessen, was erlaubt und Regel ist, sich weit nach vorn verlagert hat.

Falsch schließlich ist der grobe Keil, der angeblich auf den groben Klotz gehört. Auch da ist die Empörung ein schlechter Lehrmeister. Jedes deftige Schimpfwort wird von der anderen Seite geradezu mit Lust vereinnahmt und fortan zum schlagenden Beweis verwandt, wie mies das Verhältnis zwischen den „Rechten" und der Intelligenz sei.

Meine Gegenrezepte:

Erstens: Wir brauchen nicht mehr den Eindruck zu erwecken, sondern nur dem Kommenden zum Leben verhelfen, die Anzeichen wahrnehmen, aufmerksam in die Zukunft horchen. Es kommt nicht nur die Postmoderne, die post-industrielle Gesellschaft, sondern auch die Nach-Aufklä-rung. Wir sind sozusagen zu Tode aufgeklärt und verlangen wieder nach lebendigen Werten. Die Epoche der Suche nach Werten beginnt, nach neuen oder nach wiederzuentdeckenden alten.

Zweitens: Was wir brauchen, ist nicht der brave Journalist oder Publizist, aber auch nicht der flotte. Wir brauchen nicht den brillanten Autor, sondern den gebildeten. Wenn er brillant dazu noch ist, umso besser.

Die Aufklärung ist, war immer seicht. Das war und ist das Rezept ihrer leichten Eingängigkeit. Nur Bildung, historische, philosophische, naturwissenschaftliche Bildung kommt ihr hinter die Schliche.

Drittens: Man muß die Fälle studieren, in denen es gelungen ist, der Aufklärungswelle oder dem Establishment solide Bastionen entgegenzustellen. Ich nenne als Musterbeispiel im Kampf um die Universitäten den Bund „Freiheit der Wissenschaft" und in Berlin die Notgemeinschaft Freie Universität.

Viertens: Man muß die Taktik des Gegners studieren und aus ihr lernen. Wo der grobe Keil versagt, hilft oft der gelinde Spott, hilft fast immer die sich wohlwollend gebende böse Ironie. Sie, nur sie versetzt den Gegner von vornherein in die unterlegene, die lächerliche Position. Auch hier gibt es Lehrmeister.

Fünftens und letztens: Nachwuchs ist das dringendste. Während alle Welt über den großen Andrang seufzt, tun die großen Zeitungen sich schwer, auf dem Markt die guten Schreiber, Analytiker, Kritiker zu entdecken, die sie brauchen. Wo werden von unserer Seite die seltenen Exemplare, die solide Christlichkeit mit guter Begabung verbinden, gefischt und zu journalistischen Menschenfischern gemacht?

Der Autor ist Publizist und Honorarprofessor für vergleichende Literaturgeschichte und Literaturkritik an der Universität München; der Beitrag zitiert auszugsweise sein Referat am 26. Mai in Banz.

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