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Knechtschaft ohne Ende

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Von ganz armen Ländern kann man doch keine Zinsen verlangen, sagte kürzlich CA-Generaldirektor Hannes Androsch. Genau das ist der springende Punkt der Schuldenkrise.

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Von ganz armen Ländern kann man doch keine Zinsen verlangen, sagte kürzlich CA-Generaldirektor Hannes Androsch. Genau das ist der springende Punkt der Schuldenkrise.

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Wenn sich die hiesige Presse zur internationalen Schuldenproblematik äußert, dann reduziert sich diese Frage häufig auf das triviale Problem der Rückzahlbarkeit der Kredite. Wie üblich liegen diese Dinge in Wahrheit aber ganz anders:

Die Verschuldensproblematik ist heute - zumindest auf mittlere Sicht — weniger eine Frage der Rückzahlung als eine Frage der Zinsbelastung oder, um es schärfer zu formulieren, der Ausplünderung der Schuldner durch Zins und Zinseszins. Das böse Wort von der „Zinsknechtschaft“ kann im diesbezüglichen Schrifttum bereits des öfteren angetroffen werden.

Schuldzuweisungen darüber, wie es soweit kommen konnte, sind angesichts der Dimension des Problems bereits unerheblich geworden: Ob es die - häufig autoritären — Regierungen der Entwicklungsländer waren, die mit dem leicht erhältlichen und billigen Geld ihre Herrschaft zementierten, statt es in die Entwicklung ihrer Länder zu investieren, oder ob es die Banken waren, die auf der Suche nach Anlagemöglichkeiten — wie es ihrer Profitorien-tierurtg entspricht - den Regierungen das Geld nachwarfen; das alles tut nicht viel zur Sache. Der Schlüssel zum Verständnis der heutigen Situation liegt nämlich in den Ereignissen der siebziger Jahre; in den beiden ölpreis-schocks und die Reaktionen darauf.

Nach der ersten überfallsartigen ölpreiserhöhung 1973 mußten die abhängigen Industrie- und Entwicklungsländer enorm gestiegene Einfuhrkosten in Kauf nehmen, während die Ölscheichs in Geld schwammen und dieses vorzugsweise bei den westlichen Banken anlegten. Nun schwamm auch das internationale Bankensystem in Geld, was zu weltweit sinkenden Zinsen führte. In dieser Phase fielen die Zinsen zeitweise sogar unter die Inflationsraten und brachten den besonderen Anreiz mit sich, Handelsdefizite durch billige Kredite zu finanzieren.

Unter diesen Bedingungen entwickelten manche Länder einen geradezu grenzenlosen Kredit-hurtger. Für die Gläubigerbanken schien dieser Vorgang auch keine dauerhaften Probleme auf-ziiwerfen. Im Gegenteil: Die Banken klopften sich auf die Brust, wie gut das „Recycling“ der OPEC-Uberschüsse funktionierte und eine reibungslose Abwicklung des Welthandels ermöglichte. Alle Beteiligten an diesem Kreislauf sahen mehr Vorteile als Risken. Einzelne kritische Stimmen wurden wie gewöhnlich als Miesmacherei abgetan.

Vielleicht wäre es tatsächlich unter solchen Bedingungen noch längere Zeit gut gegangen, wäre die gesamte Situation und Entwicklung nach dem zweiten 01-preisschock von 1979 nicht eine ganz andere gewesen. Diese zweite Erhöhung fiel nämlich zeitlich eng mit einer streng antiinflationären Geldpolitik der USA ab Herbst 1979 zusammen. Die damit verbundene Verknappung der Geldmenge ließ die Zinssätze innerhalb kurzer Zeit beträchtlich ansteigen.

Der zweite entscheidende Punkt war, daß sich die Industrieländer zu einer anderen Strategie als 1973 entschlossen. Man begnügte sich nicht mehr, die Handelsbilanzdefizite durch die gestiegenen Energiepreise wie vor sechs Jahren durch zusätzliche Kredite von den Internationalen Finanzmärkten abzudecken, sondern unternahm verstärkt Anpassungsbemühungen. Einerseits durch eine Welle von Energiesparmaßnahmen, andererseits durch Versuche, Preisanstiege zu vermeiden.

Aus der Sicht der Industrieländer zweifellos eine richtige Strategie. Nur — diese restriktiven Maßnahmen führten ebenfalls zu einem Zinsanstieg, der denjenigen der USA noch verstärkte und globalisierte. Das Fazit war eine weltweite Konjunkturdämpfung.

Viele Entwicklungsländer verließen sich aber weiter auf die Kreditfinanzierung ihrer Hah-delsbilanzdefizite und wurden von den Banken auch weiterhin gerne bedient, da die eigenen Regierungen durch die restriktive Wirtschaftspolitik als Kreditnehmer großteils ausfielen. Die Zinsen erreichten in der Folge auf den internationalen Märkten Höchststände.

Das Grundübel und der entscheidende Punkt für die heute so miese Lage lag darin, daß der Anteil von Krediten, die im „Rollover-Verfahren“ vergeben wurden, enorm zunahm. Diese Kredite, die auf den internationalen Märkten leicht erhältlich sind, haben Konditionen, die den jeweiligen Verhältnissen angepaßt sind. Das heißt, die Verzinsung ist variabel. Steigen die Zinsen, werden sie einfach auf das Schuldnerland übertragen beziehungsweise abgewälzt.

Die Konsequenz war klar: Die Zinsbelastung explodierte innerhalb kurzer Zeit. In vielen Ländern machte der Anteil der variabel verzinsten Kredite bereits über 80 Prozent aus. Das Ergebnis: in den Leistungsbilanzen vieler Staaten wurde der Zinsendienst zu einem Bleigewicht.

Zum Beispiel bei Brasilien: Dieses Land hat zwischen 1970 und 1986 über 153 Milliarden Dollar für den Schuldendienst aufbringen müssen. Und das entweder durch Exporterlöse oder durch die Aufnahme neuer Kredite. Von diesen 153 Milliarden Dollar dienten nur 64 Milliarden zur Rückzahlung von Krediten, während nicht weniger als 89 Milliarden Dollar in Form von Zinsen an die Banken abgeführt werden mußten. Der Schuldenstand Brasiliens hat Ende 1986 108 Milliarden Dollar erreicht, die Zinsenlast beträgt neun Milliarden Dollar jährlich. Das ist wesentlich mehr, als durch Exportüberschüsse verdient werden kann. Das heißt: Neue Kredite müssen aufgenommen werden, um die Zinsen zu bezahlen. Für diese Kredite sind abermals Zinsen zu zahlen und so fort ad infinitum. Der Weg in die ewige Zinsknechtschaft ist so vorprogrammiert.

Ein großer Teil der Schuldenstände der Kreditnehmer — man schätzt an die 40 Prozent - besteht heute nur noch aus kumulierten Zinsen. Handelsüberschüsse müssen erzielt werden, um sie in Form von Zinsen an die Gläubigerbanken abzuführen. Und das ohne Hoffnung, jemals Licht am Ende des Tunnels zu sehen. Diese Handelsüberschüsse versuchen viele Länder durch niedrigste Löhne in der Exportwirtschaft einerseits und durch restriktive Importbeschränkungen andererseits zu erzwingen. Daß darunter die Versorgung der Bevölkerung leidet, ist klar.

Die altbackene nationalökonomische Sicht, daß Kredite produktiv investiert werden müssen, und daß aus den Erträgen eben Zinsen zu berappen sind, mutet angesichts dieser Situation geradezu wie Hohn an. Die bisher verfolgte Strategie der Umschuldung erweist sich so gesehen als nicht zielführend, weil das Problem nur hinausgeschoben und durch die neuerliche Zinsenkumulierung noch verschärft wird. Neue Methoden wie der „Schuldenswap“ (FURCHE 6/1987) sind, obwohl teilweise gute Ansätze, auch nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

Die Umschuldungen dienen legitimerweise dazu, daß es in den Industrieländern nicht zu einer Kreditkrise wie in den dreißiger Jahren kommen kann. Sie sind aber auch der Beweis dafür, daß es bisher ebenfalls gut gelungen ist, die Lasten der Schuldenproblematik einseitig die ärmeren Länder tragen zu lassen. Sehr einseitig sogar, denn die New Yorker Citibank beispielsweise holte in den letzten Jahren trotz Schuldenkrise einen ansehnlichen Teil ihres nicht minder ansehnlichen Gewinnes aus Südamerika.

Warum sollte daher die Politik geändert werden, wenn sie gute Gewinne bringt? Die Banken schreiben lieber einmal mehr einen größeren Betrag ab, als ein Präjudiz für irgendein entgegenkommendes Verhalten zu liefern.

Es wird jedoch zu einem Einlenken in irgendeiner Form kommen müssen. Sei es, indem man den Schuldendienst an die Entwicklung der Exporte koppelt oder anderes. Einlenken tut vor allem auch deshalb not, weil der Zinsendienst die Nachfragepotenz der Schuldnerländer völlig abwürgt. Aber an dieser Potenz hängt die Weltkonjunktur in höherem Ausmaß als allgemein angenommen wird...

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