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KNOW-HOW AUS DEM VATIKAN

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In den vergangenen zwei bis drei Jahren haben sich in Wirtschaft und Management ganz neue Werte herausgeschält, wenn auch in der österreichischen Praxis weitgehend unbemerkt: Werte wie Befreiung („Liberation", „Empowerment"), flache Strukturen, Teamfähigkeit, invertierte Organisationspyramiden, horizontale Organisationen, subsidiä-re/holistische Strukturen... Manche dieser Schlagworte sind längst bekannt: aus kirchlicher Theorie.

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In den vergangenen zwei bis drei Jahren haben sich in Wirtschaft und Management ganz neue Werte herausgeschält, wenn auch in der österreichischen Praxis weitgehend unbemerkt: Werte wie Befreiung („Liberation", „Empowerment"), flache Strukturen, Teamfähigkeit, invertierte Organisationspyramiden, horizontale Organisationen, subsidiä-re/holistische Strukturen... Manche dieser Schlagworte sind längst bekannt: aus kirchlicher Theorie.

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Als George Bush bei einer seiner letzten Fernseh-Konfrontationen um das Amt des amerikanischen Präsidenten recht kläglich abschnitt, war der einhellige Tenor internationaler Kommentatoren, er sei „a man on the other side of history". Genau dies müssen wir uns traurig fragen, wenn wir an den Beitrag der Kirche - und somit der Christen - zu den neuen Werten in Wirtschaft und Management denken: „Steht sie auf der anderen - der falschen - Seite der Geschichte?"

Wandel, Veränderung, oder besser: „Wie kann ich darauf reagieren, damit koexistieren?" sind zur neuen Triebfeder in wirtschaftlicher Theorie und Praxis geworden: Unsere politische, soziale, wirtschaftliche, wissenschaftliche, technologische, ökologische Umwelt verändert sich so schnell, daß weder der einzelne, geschweige denn Mikro- oder gar Makroorgani-sationen (die Gesellschaft, der Staat) damit Schritt halten können. „Stillstand bedeutet Rückschritt!", „um einzuhalten im Wandel, muß man noch immer laufen!", „destroy your seif past glory!" sind zu neuen Phänomenen geworden.

Hat sich das Wissen in unserer Ge Seilschaft im Mittelalter nach mehreren Jahrhunderten verdoppelt, so tut es dies nun alle zehn Jahre. „Firmen, die in sich und ihren Märkten gegenüber im Gleichgewicht sind, sind dem Tod geweiht!" (weil sie nicht das Sen-sorium und die Fähigkeiten zur Selbstregenerierung haben).

Paradigmen wechseln um 180 Grad: Alfred Chandlers „Structure follows Strategy" (1973) wird ersetzt durch KenichiOhmaes (1990) „Strategy follows Structure"; Tom Peters'/Bob Watermans (1983) „Nothing Succeeds like Success" wird abgelöst durch Richard Pascales (1989)„Nothing Fails like Success".

Fielen in den vierziger Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg 240 Firmen aus der „Top 500" Statistik der größten Firmen der USA, so ist dies in den letzten fünf Jahren 170 Firmen passiert. Wir befinden uns an der Schwelle dramatischer Veränderungen, Turbulenzen, in der Chaostheorie „Bifur-kationen" (Weggabelungen) genannt.

Zuerst fordern wir vom einzelnen, sich nicht gegen den Wandel zu stemmen, sondern ihn positiv zu akzeptieren, zu integrieren:

Statt Spezialistenkompetenzen sind Spezialisten- und Generalistenkom-petenzen gefordert, zu der Tiefe fachlicher Kompetenzen sind laterale/horizontale Kompetenzen nötig („Reißnagelprinzip"). Synergiefähigkeit ist heute gefragt, nicht „entweder-oder", sondern „sowohl-als auch". „Mana-ging Ambiguity and Paradox" (T. Peters) ist zur - selten beherrschten -Maxime geworden.

Der einzelne muß neben der fachlichen „Tüchtigkeit als Legitimation" noch zusätzlich viel über wirtschaftliche, strategisch/visionäre, kommerzielle, interpersonale, organisatorisehe, multikulturelle, ökologische, ethische et cetera Kompetenzen verfügen.

Persönliche Karrierekriterien ändern sich: Mittlere Manager verlieren heute am öftesten ihre Jobs, der Manager der Vergangenheit wird obsolet, wenn er es nicht zum „Part Time Manager" (Rosabeth Moss-Kanter) schafft, der neben seiner Managementaktivität auch mehr Produktives, Kundenorientiertes leistet. Management - die Fähigkeit, in komplexen Situationen zu führen -, muß ergänzt werden durch „Leader-ship", das heißt Wandel einzuleiten und zu beherrschen (John Kotter). „Leadership is to get people from where they are to where they have not been" (Henry Kissinger).

Haben wir in Österreich die vorigen Prinzipien wohl zur Kenntnis genommen, so sind wir in dieser Hinsicht noch ein Entwicklungsland, eine Insel der Seli- süchtige gen.

Die Kompetenz des einzelnen, seine „Befreiung" reicht nicht aus. Sie ist notwendige, jedoch nicht hinreichende Bedingung: Nur wenn die Organisation, das Team funktioniert, den Wandel betreibt oder mindestens mitmacht, wird sie lebensfähig und überlebensfähig sein. Von der vertikalen, hierarchisch/funktionierenden Organisation („Hierarchie" = heilige Ordnung) zur „Horizontal Company" (Mc Kinsey & Co.), die nicht nach Funktionen/Aufgaben organisiert ist, sondern nach Prozessen, horizontal über viele Firmenfunktionen. Im Mittelpunkt der Prozesse steht der Kunde. Die moderne und damit überlebensfähige Organisation hat nach dem Stanford Professor Richard Pascale („Managing on the Edge", 1989) vier Schlüsseleigenschaften:

□ „Fit", die Kohärenz zwischen Firmenbereichen und zum Ganzen;

□ „Split", die Fähigkeit zu Zellteilungen, fraktalen Strukturen-ganz schön im Einklang mit dem Subsidiaritäts-prinzip der Katholischen Soziallehre;

□ „Contend", die Fähigkeit, Konflikte und Ungleichgewicht positiv zu meistern;

□ „Transcend", den Willen, sich zu transformieren, Grenzen zu überschreiten, Paradigmen zu wechseln.

Die neue Organisation ist flach statt hierarchisch, horizontal statt vertikal, entspricht einer invertierten, auf den Kopf gestellten Pyramide (der Manager als „Diener", „Dienstleister", „Server"), ist vernetzt statt monolithisch. Sie ist eine „Learning Organisation" (Peter Senge), die aus ihrer Nähe zum Markt und durch die vermehrten Rechte und Verantwortlichkeiten aller Mitarbeiter schneller lernt und somit automatisch fehlerredundanter wird.

Nur wenn es gelingt, „Process Reengineering" (Michael Hammer) zu betreiben, also nebst Qualitätsmanagement Prozesse in einer Firma wirklich neu anzugehen, kommt es zum Quantensprung in Produktivität und Markterfolg. „Time Based Management" (Boston Consulting Group) macht Prozesse schneller, schafft hiemit Wettbewerbsvorteile und erhöht Produktivität.

Nicht alle der obigen Veränderungen im Wirtschaftsleben wurden aus altruistischen Motiven eingeleitet. Nicht immer haben die Kapitaleigner das Wohl der Mitarbeiter, der Kunden im Sinn, wenn sie obige Veränderungen einleiten, unterstützen. „Glückliche Kühe geben bessere Milch", flache Strukturen erhöhen die Produktivität, sparen Kosten, erhöhen Gewinne.

Aber das Ganze hat seine Eigendynamik bekommen: Es fördert einen (humaneren, christlicheren) Begriff von Arbeit, Grundsätze des Kapitalismus werden verändert: So ist zum Beispiel heute erwiesen, daß Profit nicht mehr die beste Maßgröße für wirtschaftlichen Erfolg („Company Value") ist, -daß zum Erzielen wirtschaftlicher Erfolge (ja sogar Profit) Wachstum nicht unbedingt erforderlich ist, hiemit „nachhaltiges Wirtschaften" möglich wird. Der - selbst- „Homo Oeconomicus" (A. Smith) wird im Wirtschaftsleben abgelöst von Teams, die gemeinsame Ziele und Werte haben.

Christen sollten sich über all die oben angesprochenen Veränderungen freuen, stimmen sie doch auch mit ihren Werten überein.

Welche gute Chancen haben wir Christen, die den Wandel als Wert -quasi mit dem Sakrament der Taufe -mitbekommen haben!

„Ecclesia Semper reformanda!" galt schon, als Wandel nicht „en vogue" war. „Metanoia", Umkehr als biblisches Prinzip!

Kirche als das biblische - und Zweite Vatikanische - „Volk Gottes", eine wandernde, bewegte Organisation (übrigens mehr „Horizontal Company" als das funktional/hierarchische Bild des „Leibes Christi").

Das Konzilsdokument „Lumen Gentium" hätte das Zeug gehabt, zum Managementbestseller zu werden. 20 Jahre vor den Harvard Management-Gurus wurden hier bestechende

Grundsätze formuliert:

„Bischöfe als Diener in der Leitung" (L.G.20).

„Amt als Dienst" (L.G.24) (Serverprinzip).

„Wechselseitige Beziehungen zu Teilkirchen wie zur Gesamtkirche" (L.G.23).(VernetzteOrganisationen).

„Verschiedene Kirchen" (L.G.23) (Vielfalt, Komplimentarität).

„Gegenseitige Hilfe, geistiger wie materieller, pastoraler wie persönlicher Art, in Zusammenkünften, in der Gemeinschaft des Lebens, der Arbeit und der Liebe" (L.G.28) (Teamfähigkeit, horizontale Organisation).

„Die geweihten Hirten aber sollen die Würde und Verantwortung der Laien in der Kirche anerkennen und fördern..., gern deren klugen Rat benutzen"(L.G.37) (Subsidiarität, Empowerment, Dezentralisierung). Prinzip Gemeinde als optimale Organisationsform.

Tom Peters/Bob Waterman wären mit ihrem Buch „In Search of Excel-lence" („Auf der Suche nach Spitzenleistungen") arbeitslos geworden, hätten sie das Konzilsdokument über die Kirche gekannt. Oder doch nicht? Sprachen sie doch von Firmen, die nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis diese Leistungen umsetzen.

Im Marketing und in der Wirtschaft gilt ein teuflisches Prinzip: „Percep-tion is Reality!" Nicht die absoluten, objektiven Werte zählen, sondern die „Perception", die Wirkung auf den Kunden, auf den Markt.

Was ist die Wirkung, die der Vatikan, „Westbahn-Kurti" und Kollegen auf unseren „Markt" (die Öffentlichkeit, die Suchenden) heute haben? Die Kirche und die Gewerkschaften gehören heute zu den Arbeitgebern, die obigen Prinzipien am wenigsten entsprechen. Die Kirche bewahrt Strukturen (= der Zeit entsprechende Organisationsformen, nicht „Verfassungselemente"), die nicht mehr den Anforderungen entsprechen (Zölibat), sie erkennt nicht neuere wissenschaftliche Erkenntnisse an (zum Beispiel bezüglich Homosexualität), wo ist die Kohärenz („Fit" - der neue Katechismus?), die Konfliktfähigkeit („Contend" - Vielfalt in Einheit), wo gelingt es, Transformation („Transcend") zu bewirken?

Haben sich viele nicht feige angeglichen an ein säkulares Wirtschaftssystem, sind viele nicht defaitistisch zu Opfern - und somit zu Tätern - in einem inhumanen Wirtschaftssystem geworden?

Wo bleiben die „anonymen Christen" (Karl Rahner), die aufhorchen lassen durch Mut zum Paradigmenwechsel, Zivilcourage und Gerechtigkeit/B armherzigkeit/Tapferkeit, Kampf gegen die Korruption auch im Kleinen (Karl Strobl)?

Was die amerikanische Bischofskonferenz in ihrem Sozialhirtenbrief beizutragen hat, ist „State of the art". Die Basisgemeinden verwirklichen neue Organisationsformen par excel-lence, die ökumenische Bruderschaft in Taize ist Beweis, wie horizontale, prozeßorientierteOrganisationen auch in höchster Organisationsqualität funktionieren, und das nicht ohne Transzendenz.

Und es gibt auch „Heilige" im Wirtschaftsleben, die bescheiden ihren Dienst tun, ohne sich kompromittieren zu lassen. Und die auch nicht weniger Erfolg haben.

Welche andere Organisation hat eine so schöne Vision, eine so freudige „Mission" wie wir Christen?!

Und dies alles mit dem trauten „Fangnetz" um das Wissen, erlöst zu sein.

Der Autor war von 1985-88 Generaldirektor von Olivetti Österreich; seit 1988 ist er Managing Director des Olivetti International Educa-tion Centres in Haslemere bei London.

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