6886228-1979_28_06.jpg
Digital In Arbeit

Knüppel der Spaltung ist wieder im Sack

19451960198020002020

Die Kanzlerkandidaten-Kür der beiden christlichen Unionsparteien ist endlich über die Bühne. Franz Josef Strauß, bayrischer Ministerpräsident und Vorsitzender der CSU, soll im nächsten Jahr gegen Helmut Schmidt antreten. Daß es nach den langen Geburtswehen zu seiner Nominierung kam, kommentierten nicht wenige Abgeordnete aus der CDU/CSU-Bundestagsfraktion mit den Worten, ein Ende mit Schrecken sei ihnen lieber als ein Schrecken ohne Ende.

19451960198020002020

Die Kanzlerkandidaten-Kür der beiden christlichen Unionsparteien ist endlich über die Bühne. Franz Josef Strauß, bayrischer Ministerpräsident und Vorsitzender der CSU, soll im nächsten Jahr gegen Helmut Schmidt antreten. Daß es nach den langen Geburtswehen zu seiner Nominierung kam, kommentierten nicht wenige Abgeordnete aus der CDU/CSU-Bundestagsfraktion mit den Worten, ein Ende mit Schrecken sei ihnen lieber als ein Schrecken ohne Ende.

Begonnen hatte der Kleinkrieg um die Kandidatur am 23. Mai, als im Anschluß an die Wahl des neuen Bundespräsidenten der bayrische Regierungschef bekanntgeben ließ, er stehe als Kanzlerkandidat zur Verfügung. Strauß strafte damit frühere Äußerungen von ihm Lügen, in denen er stets bestritten hatte, diese -verfassungsrechtlich gar nicht existierende - Funktion anzustreben. Originalton Strauß: „Eher züchte ich Ananas in Alaska, als daß ich Kanzlerkandidat der Union werde.“

Doch der Anspruch des CSU-Vorsitzenden, der die CDU in die tiefste Krise seit ihrem Bestehen stürzte, kam nicht von ungefähr. Denn am Rande der Bundesversammlung zur Wahl des Bundespräsidenten war durchgesickert, daß der CDU-Vorsitzende Helmut Kohl an einem der nächsten Tage den niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht als Kanzlerkandidaten präsentierten wolle.

Diese Absicht, die weder mit den Führungsgremien der CDU noch mit der CSU bis zu diesem Zeitpunkt abgesprochen war, erinnerte Strauß an den Überraschungscoup der CDU von 1976, als der damalige CDU-Generalsekretär Kurt Biedenkopf ein halbes Jahr vor den Bundestagswahlen im Alleingang Helmut Kohl zum Kanzlerkandidaten ausrief. Die CSU fühlte sich völlig überfahren und akzeptierte seither Kohl als gemeinsamen Spitzenmann nicht mehr. Diesmal, so fürchtete Strauß, könne ähnliches mit der Nominierung Ernst Albrechts geschehen. Um jegliches Präjudiz zu verhindern, meldete Strauß seinen Anspruch an.

Doch damit begannen erst die Schwierigkeiten. Während Strauß seine Bereitschaft zur Spitzenkandidatur lediglich als Angebot verstanden wissen wollte, stellte sich der wenige Tage später gefaßte CDU-Beschluß, Ernst Albrecht zum Kanzlerkandidaten zu machen, als endgültige Entscheidung dar. Diesen Eindruck erweckten jedenfalls Helmut Kohl und sein Generalsekretär Heiner Geissler, die zum Ärger mancher Vorstandkollegen mit ungeschickten Formulierungen eine „Entweder-Al-brecht-oder-gar-nichts“-Alternative ins Spiel brachten.

Erst das bewog die CSU, den großen Knüppel der Spaltung aus dem Sack zu holen. Ein Interview-Krieg zwischen den beiden Partei-Generalsekretären Stoiber (CSU) und Geissler (CDU) tat ein übriges, die Spaltungsdiskussion zum Selbstläufer werden zu lassen. Die gegenseitigen Verdächtigungen erreichten ein schier unerträgliches Maß an Rüpelhaftigkeit.

Doch auf dem Höhepunkt dieses Streites, der schon nicht mehr nur einer um Personen, sondern um grundsätzliche Sachdifferenzen und politische Identität geworden war, setzte die Gegenbewegung ein. Sie begann an der Basis der CDU und fand sogleich prominente Verfechter in den oberen Führungsgremien. Die Einheit der Union, so wurde vielen mehr und mehr klar, ist ein so hohes Gut, daß der Streit um Personen dahinter zurückstehen müsse.

Wenn die Union sich nicht anders aufrechterhalten ließe als mit einem Kanzlerkandidaten Strauß, so solle man ihn doch in Gottes Namen auf den Schild heben. Die Alternative, die bundesweite Ausdehnung der CSU, würde nach Meinung einer immer größer werdenden Zahl maßgeblicher CDU-Politiker dazu führen, daß CDU und CSU sich gegenseitig die Wähler abspenstig machten und damit womöglich eine jahrzehntelange Herrschaft der Sozialdemokraten in Bonn zementierten.

“Der hessische CDU-Vorsitzende Alfred Dregger, seit langem als Strauß-Freund bekannt, brachte den Vermittlungsvorschlag ins Spiel, ein Gremium zu bilden, das - nach einem bestimmten Schlüssel von CDU und CSU beschickt-über die,Kandidatur entscheiden sollte. So plausibel dieser Vorschlag klang, der Teufel steckte auch hier im Detail. Denn sogleich entbrannte ein neuer Streit darüber, wieviel Personen jeweils von CSU und CDU in dieses Gremium zu entsenden wären.

In diese Wirren hinein meldete sich die gemeinsame Bundestagsfraktion von CDU und CSU zu Wort. Ihr Argument: laut Verfassung müßte sie im Bundestag den Kanzler wählen. Also stehe ihr auch das entscheidende Votum über die Kandidatur zu. Während sich in den Chefetagen von CDU und CSU niemand so richtig für diesen Vorstoß erwärmen konnte, ging die Fraktion selbstbewußt zum Angriff über. Sie kündigte an, daß sie eine Probe-Abstimmung über die Kandidaten Strauß und Äl-brecht vornehmen werde.

Angesichts vieler Strauß-Anhänger im CDU-Teil der Fraktion war das Rennen durchaus offen. Da die CDU/CSU-Fraktion sich durch nichts von ihrem Plan abbringen ließ, stimmten die Parteivorstände von CDU und CSU schließlich einer Abstimmung zu und erklärten übereinstimmend, daß das Ergebnis als verbindlich angesehen würde.

Der Preis, den die CSU zu zahlen hatte, war der (vorläufige?) Verzicht auf die Ausdehnung über die bayrischen Landesgrenzen hinaus. Am 2. Juli absolvierte die CDU/CSU-Bundestagsfraktion dann die längste Sitzung in ihrer Geschichte. Am Ende der siebenstündigen Debatte fiel die Abstimmung für viele nicht mehr überraschend deutlich zugunsten von Franz Josef Strauß aus: 135 votierten für ihn, 102 für Albrecht.

Mit dieser Nominierung wurde zwar die Einheit der Union gerettet, aber was die Kandidatur von Franz Josef Strauß in Zukunft für die beiden Parteien und für die Bundesrepublik Deutschland bedeutet, ist noch keineswegs geklärt. Die von manchen CDU-Politikern befürchtete Identitätskrise der CDU ist bisher nicht eingetreten.

Trotzdem bleibt für die Union die bange Frage, ob Strauß gegen Helmut Schmidt 1980 eine Chance hat. Zweifellos haben die Unionsparteien ihre größte politische Potenz zum Spitzenkandidaten gemacht. Tatsache ist aber auch, daß Strauß sich in der Popularitätsskala mit Helmut Schmidt nicht messen kann.

Strauß gehört neben Herbert Wehner zu den wenigen Politikern, die auf dem Beliebtheitsbarometer stets Negativwerte aufgewiesen haben. Außerdem erhebt sich jetzt die Frage, ob Strauß im Norden der Bundesrepublik überhaupt ankommt. Das tatsächlich existierende Nord-Süd-Gefälle könnte nächstes Jahr eine wahlentscheidende Rolle spielen.

Doch muß dies alles im Augenblick als politische Kaffeesatzleserei bewertet werden. Denn - und darüber sind sich die meisten Beobachter einig - unter zwei Voraussetzungen gibt es eine reale Chance für Strauß, die nächste Bundestagswahl gegen Helmut Schmidt zu gewinnen:

Das eine, die Grundvoraussetzung, ist die Einigkeit in den beiden christlich-demokratischen Parteien. Sollte sich hier schon in Kürze zeigen, daß Strauß nicht die bedingungslose Unterstützung der CDU genießt, sondern stattdessen der unausrottbare Hang zum Herummäkeln wieder die Oberhand gewinnt, kann die Union schon gleich einpacken.

Die zweite Voraussetzung ist weltpolitischer Natur. Treffen nämlich die Prophezeiungen zu, daß es im kommenden Winter und im Frühjahr zu einer möglicherweise existenzbedrohenden Energiekrise kommt, gerät Bundeskanzler Schmidt in allergrößte Schwierigkeiten, weil er sich für die notwendige rigorose Politik der Unterstützung durch die beiden Koalitionsparteien SPD und FDP nicht sicher sein kann.

Damit wäre Strauß für weite Kreise der Bevölkerung, die ihn bisher ablehnen oder zumindest mit gemischten Gefühlen betrachten, eine echte Alternative - der „starke Mann“, der den frierenden und von Preislawinen überrollten Bundesbürgern den Weg aus der Krise zu ebnen vermag.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau