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Koalition vor Machtkampf mit den Gewerkschaften

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Die erste „große Koalition“, die Dänemark in Friedenszeiten erlebt, hat einen harten Machtkampf mit den Gewerkschaften vor sich. Gewerkschaftsboß Thomas Nielsen warf dem Ministerpräsidenten Anker Jörgensen vor, die Arbeiterbewegung verraten zu haben. Jörgensen hingegen, der selbst aus der Gewerkschaft kommt, sagt, es sei „in der aktuellen Situation das absolut richtige“ gewesen, die Gefolgschaft der bäuerlich-liberalen „Ven-stre“ zu suchen, um die Sanierung der dänischen Wirtschaft mit einer stabilen Mehrheit angehen zu können.

Absolute Mehrheit hat die „S-V-Koa-lition“ im Parlament freilich keine. Sie verfügt nur über 88 der 179 Mandate. Aber um sie zu stürzen, müßten alle anderen Parteien von Rechtsaußen Mogens Glistrup über konservative und kleine Mitte-Parteien bis zu Kommunisten und Revolutionären Marxisten gemeinsame Sache machen. Das wird nicht geschehen. Die Regierung kann im Parlament nicht fallen - sie kann nur durch äußere Widerstände zerbrechen.

Es bedurfte aller Überredungskünste Anker Jörgensens, den linken Flügel in seiner Partei hinter das Abkommen zu vergattern, das er in dreiwöchigen zähen Verhandlungen mit der „Venstre“ ausgehandelt hat. Aber der Ministerpräsident nahm das Nein der Gewerkschaft ebenso in Kauf wie den Protest-Rücktritt seines Klubobmannes und den lauten Widerspruch anderer Parteimitglieder, um die Zusammenarbeit über die Mitte hinweg zustandezubringen, die er für notwendig hält, und die es in Dänemark auf Regierungsebene noch nie gegeben hat.

Venstres junger Obmann Henning Christophersen hatte wesentlich weniger Mühe, die Zustimmung der liberalen Parteigruppe zu finden. Die

„Venstre“ kann mit dem ausgehandelten Kompromißprogramm zufrieden sein: Es liegt meilenweit von dem ersten sozialdemokratischen Forderungskatalog entfernt. Obwohl die „Venstre“ nur ein Viertel der Mandate in die Koalition einbringt, bekam sie ein Drittel der Ministerien - darunter das Außenministerium für Hennig Christophersen, der somit die dänische EG-Politik in der Hand hält, und das wichtige Wirtschafts- und Steuerministerium. “ Das Investitionsprogramm, das die sozialdemokratische Minderheitsregierung mit teuren Prestigeprojekten vorgelegt hatte, fiel dem Rotstift der auf Sparen eingestellten Liberalen zum Opfer. Die umstrittene Arbeitermitbestimmung in der Wirtschaft wurde auf unbestimmtes Datum vertagt. Wenn es im bürgerlichen Lager dennoch Unzufriedenheit gibt, dann aus politischen Gründen. Der Führer der Konservativen, Poul Schlüter, wirft der Venstre vor, das einheitliche bürgerliche Lager gesprengt zu haben. Die von den Konservativen erträumte „bürgerliche Machtübernahme“ unter Schlüters Führung ist zunächst in weite Ferne gerückt.

Große Teile in Dänemarks Bevölkerung haben sich die Zusammenarbeit der beiden einflußreichsten Parteien des Landes seit langem gewünscht. Sie haben freilich ihr Wirken mit unpopulären Maßnahmen eingeleitet und werden auch diesen Kurs fortsetzen müssen, wenn es gelingen soll, die Staatsverschuldung zu reduzieren und die Konkurrenzfähigkeit der däni-

schen Wirtschaft zu verbessern. Lohnstopp, Gewinnstopp, Mehrwertsteuererhöhung, neue Abgaben - das ist das Einstandgeschenk der neuen Regierung.

Daß Anker Jörgensen diesen Weg eingeschlagen hat und dafür sogar in Kauf nimmt, daß die Arbeitslosigkeit zunächst etwas steigen wird, das kann die Gewerkschaft ihm nicht verzeihen. Noch ehe das neue Kabinett angelobt war, hatten die 1100 Werftarbeiter in der Werft von Frederikshavn im Protest die Arbeit niedergelegt. Ähnliche Aktionen folgten. Die große Auseinandersetzung wird aber erst im Frühjahr kommen. Dann stehen die Tarifverhandlungen für die Industrie auf dem Programm.

Das Frühjahr 1979 wird also die Feuertaufe für die Koalition werden, die die Sozialdemokraten und die bäuerlich-liberalen gewagt haben. Uberspringt Dänemarks erste „Arbeiterund Bauernregierung“ diese Hürde, dann kann sie ungefährdet bis zum fälligen Wahltermin 1981 regieren - und dann wohl mit einer guten Wahl rechnen, denn bis zu diesem Zeitpunkt sollte das Sparprogramm positive Auswirkungen gezeigt haben. Scheitert Jörgensens Regierung aber im Machtkampf mit den Gewerkschaften, dann dürfte die Stunde der Extremisten schlagen: die von Mogens Glistrup auf der einen Seite und den Kommunisten auf der anderen. Gewerkschaftsboß Nielsen prophezeit der „S-V-Ehe“ die Scheidung innerhalb eines halben Jahres. Er will die Sozialdemokraten auf den „richtigen Weg“ zurückführen. Es könnte sein, daß er dabei ungewollt anderen Kräften in die Hände arbeitet.

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