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Kobergs Korrespondenzen

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Vor drei Jahren, da hat auch Wien sich als eine der letzten Kulturstädte Europas eingeschaltet in einen auch nicht viel älteren Markt, genannt „internationale Koproduktionen”. Das Festival im Festival', das diese Sparte seitdem betreut, heißt „Big Motion”, findet im Rahmen der Wiener Festwochen statt, begann anfangs mit Gastspielen der renommierten jungen Wilden und traut sich jetzt, wo der Nachholbedarf so halbwegs abgedeckt ist, schön langsam auch als internationaler Koproduzent heraus. Was erst einmal nicht viel mehr bedeutet, als Projekte von gewieften Theatermachern mit vorzufinanzieren und als Gegenleistung - im Falle des belgischen Bilderterroristen Jan Fabre - eine Welturaufführung zu erhaschen oder wenigstens - so wie bei der New Yorker Woo-ster Group - einer der ersten Gastgeber auf deren Europatournee zu sein.

Aus der Sicht der Theatermacher heißt das neue Marktsystem, daß sie sich - Traum jedes Künstlers! - viele Monate, ja manchmal sogar Jahre Zeit nehmen können, um ihr Projekt schön friedlich und ohne großen Termindruck erarbeiten können, bis sie sich damit auf die große Reise machen. Die verbündeten Zeittheater-Veranstalter allerorten sind nicht selten die das Überleben der Truppen sichernden Sponsoren.

Das Wiener Big Motion-Festival, bei dem gerade die Hälfte um ist, ist wie gesagt ein Nachzügler. Vorsprünge an Kontakten haben beispielsweise das Frankfurter „Theater am Turm”, das „Berliner Hebbel Theater”, auch die Salzburger Sommerszenen, vor allem aber jene Organisation, über die sich ein großer Teil der heutigen Avantgarde erst entwickelt hat, das Brüsseler Kaaitheater. Umso energischer will „Big Motion” jetzt an die Sache gehen. Da schreibt der Programmierer der Reihe, Wolfgang Wais, man wolle durch enge Zusammenarbeit eine „europäische Dramaturgie” schaffen.

Europäische Dramaturgie? Klingt fast wie eine Drohung. Müssen nun also auch die Theater bald Europareifeprüfungen ablegen, bevor sie im Off-Festival-Zirkus rotieren dürfen?

Das heurige Programm will zeigen (und kann es zum Teil sicher auch), daß es Ansätze dazu schon gibt, daß das internationale Ko-Produkt bereits die ersten kollektiven Qualitätsmerkmale aufzuweisen hat. Genau damit soll schließlich beim Euro-Drama-Publikum eine ganz bestimmte Erwartungshaltung gefördert werden, die das Veranstalten, also das Verkaufen, sicher leichter macht.

Nur ein kleines Beispiel: in keinem der drei kontinentalen Gastspiele bei der diesjährigen „Big Motion” Reihe treten Frauen auf (Männer schon eher), die nicht genau so gut als Top-Models viel Bares machen könnten. Sie sind mit schwungvollem Elan bei der Sache, zeigen viel Beine und mehr (selbstverständlich nur, um - das ist nur einer der vielen Aspekte - das sinnlose Verrinnen der Zeit auszudrücken), kurz: der postmoderne Voyeur hat jedesmal was Schönes zu schauen.

Europäische Dramaturgie klingt auch deswegen nach Drohung.weil die heute am Markt reüssierenden Gruppen ja nur selten aus großen Castings hervorgehen, sondern meistens ihre zutiefst regionalen Wurzeln haben. Fura dels Baus wurden schon spanische Kanalratten genannt, als diese Bezeichnung noch nicht dem Servus-grüß-dich-Publi-kum als hübsches Apercu den Pausentratsch versüßte. Die Wooster Group ist ein Ableger der New Yorker Subkultur, Jan Fabre ein Kunstabfallprodukt von Benelux.

Und Wien (ja, und Österreich?)? In Wien fällt herzeigbares Off-Theater meistens entweder regional sehr festgelegt aus (die Gruppe Gang Art kapriziert sich beispielsweise seit Jahren auf die theatralische Erforschung von öffentlichen Wiener Gebäuden) oder mit einem Hang zu romantischer Nostalgik. Etwa die bizarr verspielten Bilderopern des Serapionstheaters, oder - jüngeres Beispiel - eine von Ester Linley zusammengerufene Compagnie und vom Südamerikaner Gerald Thomas, die eine ganz erstaunliche Zusammenarbeit über Kafka in der Ottakringer Brauerei zuwege brachte. Laßt diese und andere in Ruhe werken, Europareife soll nicht der Markt allein bestimmen!

Roland Koberg ist Theaterredakteur der Zeitschrift „Falter”.

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